Dienstag, 12. April 2022
Das ist doch noch gut!

Viele Lebensmittel werden weggeworfen, obwohl sie noch essbar sind. Manche Menschen versuchen sie zu retten. (Fotos: imago/viennaslide)
Der Jesuit Jörg Alt kämpft für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln – sein Anliegen ist aktuell wie nie
Wegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine werden Lebensmittel teurer und weltweit knapper. Sie wegzuwerfen, finden viele gerade jetzt empörend. Vor vier Monaten, am 21. Dezember 2021, hat Jesuitenpater Jörg Alt vor einem Supermarkt in Nürnberg etliche noch essbare Lebensmittel aus einem Müllcontainer befreit, wie er erzählt, und anschließend an Bedürftige verteilt. Mit seiner hierzulande strafbaren Aktion des zivilen Ungehorsams wollte der Sozialethiker auf ein globales Problem aufmerksam machen. Obwohl weltweit rund 800 Millionen Menschen Hunger leiden, landen pro Jahr 1,3 Milliarden Tonnen und somit ein Drittel der oft aufwändig produzierten Lebensmittel im Müll.
Allein in Deutschland vernichten die Supermärkte nach einer Schätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums jährlich zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel, obwohl diese größtenteils noch genießbar sind. „Nur weil dort das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder das Obst nicht mehr so schön aussieht. Ein Unding in Zeiten des Klimawandels und steigender Lebensmittelpreise“, sagt Pater Alt.
Doch politisch passiert ist seither nichts. Noch immer gibt es von der Bundesregierung, anders als im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen vereinbart, keinen Vorstoß, um die Verschwendung von Lebensmitteln in Deutschland einzudämmen.
Die Erderhitzung bedroht ganze Ernten
Dabei hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die Lage deutlich verschärft. Nicht nur die Kosten für Heiz- und Treibstoffe stiegen stark, auch die Preise für Nahrungsmittel kletterten um durchschnittlich fünf Prozent in die Höhe. Vor allem etliche pflanzliche Produkte haben sich zuletzt stark verteuert. Hier stiegen nach Angaben des ifo-Instituts die Preise um 29 Prozent. Bei tierischen Produkten waren es 17 Prozent. Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Der Grund: In der globalen Landwirtschaft drohen Engpässe. Die Ukraine gilt als größte Kornkammer Europas. Doch anstatt ihre Felder zu bestellen, kämpfen jetzt viele ukrainische Bauern gegen die russischen Invasoren.
Hinzu kommt die extreme Trockenheit. Selten ist in weiten Teilen Europas so wenig Regen gefallen wie im abgelaufenen März. Längst bedroht die Erderhitzung ganze Ernten. Vor allem für die Menschen in den Entwicklungsländern ist das ein Problem. Laut der Welternährungsorganisation FAO sind bereits zwei Milliarden Menschen mangelernährt. „Der Klimawandel wird über kurz oder lang auch hierzulande die Ernährungslage massiv beeinflussen“, prognostiziert Alt.
Die Lebensmittelverschwendung treibt neben dem Hunger auch die Klimakrise weiter an. Nach Angaben vom Bundesumweltamt entstehen durch weggeworfene Lebensmittel jährlich 38 Millionen Tonnen Treibhausgase, 43 000 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Fläche werden sinnlos beackert und 216 Millionen Kubikmeter Wasser verschwendet. Ein bewussterer Umgang mit Lebensmitteln sei nicht nur ein Beitrag zur Bekämpfung von Hunger, sagt Alt. Sondern er helfe auch, das Artensterben zu lindern, und mindere die Übernutzung und Verschmutzung natürlicher Ressourcen.
Inzwischen sind die Ermittlungen gegen den Pater abgeschlossen. Gegen ihn liegt, Stand heute, eine 90-seitige Polizeiakte vor. Weil Alt bei seinem Tun am Supermarkt ein Werkzeug benutzte, „hält die Staatsanwaltschaft auch an ihrem Vorwurf des besonders schweren Diebstahls gegen mich fest“, sagt der Priester.
Möglich sei somit eine Haftstrafe von drei Monaten bis hin zu zehn Jahren. Zwar ist eine solche harte Verurteilung nach Ansicht von Experten nicht wahrscheinlich. „Doch politisch tut sich halt nichts“, klagt der Jesuit. „Die Bundesregierung erweckt gerade den Eindruck, dass sie entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist, den multiplen Krisen unserer Zeit angemessen zu begegnen.“
Dabei hat der Pater von Teilen der Politik für sein Tun sowie seine Forderung nach einem Lebensmittelrettungsgesetz längst Rückendeckung bekommen. Jüngst bezeichnete Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die Kriminalisierung des Containerns als absurd. „Dass so viele Lebensmittel weggeworfen werden, empört zu Recht viele Menschen und mich auch“, sagte der Minister. Gerade mit Blick auf die Klimakrise sei die Lebensmittelverschwendung ein Problem, dass „wir dringend anpacken müssen“.
Supermärkte sollen spenden müssen
Einzelne Landesverbände der Grünen haben der Bundesregierung inzwischen einen konkreten Maßnahmenkatalog vorgelegt. Demnach müssten Supermärkte, nach dem Vorbild Frankreichs, Italiens und Tschechiens, zukünftig auch in Deutschland alle nicht verkauften und für den Verzehr noch geeigneten Lebensmittel für wohltätige Zwecke spenden. Zum Beispiel an die Tafeln.
Dass es trotzdem bisher keinen Gesetzentwurf zur Eindämmung der Nahrungsmittelvernichtung gibt, liegt nach Darstellung von Beobachtern vor allem an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Diese Einschätzung teilt auch Alt: „Die FDP hat offensichtlich kein Interesse daran, dass man hier vorankommt.“ Aus dem Hause Buschmanns hieß es dazu, man wolle die Lage zunächst mal prüfen. (Andreas Kaiser)