Mittwoch, 19. Oktober 2022
„Ich gebe, weil andere nicht können“

Sparen oder spenden? Die Hilfswerke hoffen auf die Solidarität ihrer treuen Spenderinnen und Spender. (Foto: Getty Images/iStockphoto)
Wie wirkt sich die hohe Inflation auf die Spendenbereitschaft aus?
Wegen der hohen Kosten prüfen derzeit viele Menschen, wo sie sparen können. Das kann zum Problem für die katholischen Hilfswerke werden, die gerade in der Weihnachtszeit großzügige Spenden erhalten. Was tun sie, um die Menschen zur Spende zu motivieren?
„Die Situation ist auch für uns völlig neu“, sagt Julia Biermann. Sie leitet die Abteilung Spendenkommunikation beim Hilfswerk Misereor und verfolgt aufmerksam, wie rasant die Kosten für Lebensmittel, Strom und Heizung steigen. Immer stärker spüren die Menschen die Folgen der hohen Inflation. Viele müssen in diesen Wochen hohe Summen für Strom und Gas nachzahlen, bekommen höhere Abschläge – und müssen sparen. Noch hat Biermann keinen starken Rückgang der Spenden festgestellt. Aber sie sagt: „Wie sich das entwickeln wird, können wir nicht einschätzen.“
Auch andere katholische Hilfswerke wie Adveniat, Caritas international und missio blicken mit Sorge in die Zukunft. Eine Spende zur Weihnachtszeit, in der die Menschen traditionell besonders großzügig sind? Für viele könnte das in diesem Jahr schwierig werden.
„Sie wissen, dass ihre Hilfe bei den Armen ankommt“
Die Hilfswerke hoffen nun auf die Spenderinnen und Spender, die schon lange ihre Arbeit unterstützen. Das sind vor allem ältere, kirchentreue Christen, die in der Regel finanziell gut abgesichert sind. „Auch bei Krisen in der Vergangenheit war ihr Spendenverhalten relativ stabil“, sagt Pater Martin Maier, Hauptgeschäftsführer bei Adveniat. „Sie spenden an uns, weil sie wissen, dass ihre Hilfe bei den Armen ankommt.“
Diese Erfahrung hat auch Biermann gemacht: Gerade in Krisenzeiten gibt es vermögende Menschen, die spenden, weil sie wissen, dass die Lage in anderen Ländern noch kritischer ist als in Deutschland. Daran möchte sie auch jetzt anknüpfen: „Als Hilfswerk versuchen wir, das immer wieder deutlich zu machen: Wir in Deutschland spüren die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Wirtschaftskrise. Noch viel stärker aber sind Menschen in Ländern betroffen, die keine sozialen Sicherungssysteme haben und von Hilfslieferungen abhängig sind.“ Die Hilfswerke wollen ihre Spender nicht emotional bedrängen, aber sie klären über die Situation in sehr viel ärmeren Ländern auf. Und sie erzählen Erfolgsgeschichten, die zeigen, wie die Spenden die Not lindern. So hilft Misereor etwa in Kenia, das unter einer Dürre und den ausbleibenden ukrainischen und russischen Weizenexporten leidet, den Hunger zu stillen.
„Es gibt auch Spenderinnen und Spender, die uns sagen: Ich gebe noch ein bisschen mehr, weil ich weiß, dass andere gerade nichts geben können“, sagt Biermann. Darauf vertraut auch Maier. „Schon seit einigen Jahren gibt es den Trend, dass die Anzahl der Spenderinnen und Spender sinkt, die verbleibenden aber höhere Summen spenden. Die aktuelle Entwicklung der Inflation wird diesen Trend sicherlich beschleunigen“, sagt er.
Selbst wenn die Spenden in den nächsten Monaten hinter den Erwartungen zurückbleiben, befürchten die Hilfswerke nicht, Projekte stoppen zu müssen. „Wir planen langfristig und schauen, welche Mittel, Reserven und Spenden für Projekte gebraucht werden“, sagt Biermann. „In den vergangenen Jahren waren die Spendeneinnahmen sehr gut. Wir dürfen nicht die Erwartung haben, dass die Einnahmen immer weiter steigen.“ (Kerstin Ostendorf)