Donnerstag, 24. November 2022
Sie nimmt kein Blatt vor den Mund
Vor 300 Jahren starb Liselotte von der Pfalz
Wäre das Telefon schon erfunden gewesen – Liselotte von der Pfalz hätte jeden Tag stundenlang an der Strippe gehangen. Sie „plaudert“, wie sie es selbst nennt, stattdessen in ihren Briefen. Und hinterlässt exklusive Einblicke in das höfische Leben der Barockzeit.
Etwa 60 000 Briefe soll Liselotte im Lauf ihres Lebens verfasst haben, 5 000 sind erhalten. Sie nimmt darin kein Blatt vor den Mund, formuliert witzig und mitunter derb. Sie schreibt über Klatsch und Tratsch, über Theater, Literatur und Religion, macht ihrem Ärger Luft und klagt über Intrigen und Unglücke.
Elisabeth Charlotte, Tochter des pfälzischen Kurfürsten Karl I. Ludwig, kommt 1652 in Heidelberg zur Welt. Liselotte, wie sie nur genannt wird, ist schon als Kind ein rechter Wildfang; sie wäre, verkündet sie, viel lieber ein Junge. Da die Eltern sich trennen, wird ihre Tante Sophie früh zur wichtigsten Bezugsperson – und Briefpartnerin, versteht sich.
Der Liselotte besonders oft schreibt, seit sie mit 19 verheiratet wird. Der Ehemann heißt Philippe, ist Herzog von Orléans und, viel wichtiger, der Bruder des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. Liselottes Hauptaufgabe: dem verwitweten Philippe, dessen erste Frau zwei Töchter geboren hat, männliche Erben zu verschaffen. Unter erschwerten Bedingungen freilich, denn der Herzog ist homosexuell. Nachdem Liselotte bis 1676 zwei Söhne und eine Tochter zur Welt gebracht hat, verzichtet der Gatte zu ihrer Erleichterung fortan auf die Erfüllung der ehelichen Pflichten.
Höchst ungern hat Liselotte vor der Hochzeit auch die unvermeidliche Konversion zur katholischen Kirche vollzogen. Im reformierten Glauben erzogen und mit den Lutheranern sympathisierend, besucht sie zwar täglich die Messe, hat aber für katholische Dogmen und Traditionen nicht viel übrig. Im hohen Alter wird sie über 200 protestantischen Sträflingen, Opfer der Hugenottenverfolgung des Königs, zur Freiheit verhelfen.
Bis zu ihrem Tod am 8. Dezember 1722 erlebt Liselotte viele Höhen und Tiefen. Einerseits führt sie ein glanzvolles Dasein in prächtigen Schlössern mit einem 250-köpfigen Hofstaat und versteht sich jahrelang hervorragend mit Ludwig XIV., mit dem sie ausgedehnte Reitausflüge und Spaziergänge unternimmt, tanzt und ins Theater geht. Andererseits muss sie den Tod ihres knapp dreijährigen ersten Sohnes verkraften und die Verwüstung ihrer Heimat mitansehen, die der Sonnenkönig mit einem Krieg überzieht, und sie erkrankt an Pocken, überlebt zwar, bleibt aber von hässlichen Gesichtsnarben gezeichnet.
Alles schildert sie in ihren Briefen. Plastisch und unverblümt. Denn: „Ich schreibe, wie ich rede.“ (Hubertus Büker)