Redaktion der pilger

Freitag, 25. April 2025

Aufklärung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch

Archivdirektor Dr. Thomas Fandel erläutert Sylvia Schraut die Bestände. (Foto: Klaus Venus)

Sonderbeilage will über den Sachstand informieren sowie Personen und Gremien vorstellen, die sich in diesem Bereich engagieren

„Hinsehen statt wegschauen“ lautet das Leitmotiv für die Aufklärung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Speyer. Dieses Thema geht alle an. Deshalb widmet sich eine „Pilger“-Sonderbeilage dieser komplexen und schwierigen Materie. Sie informiert zum einen darüber, welche Schritte im Bistum seit Bekanntwerden des Skandals unternommen wurden. Zum anderen werden darin Personen und Gremien vorgestellt, die engagiert in der Aufarbeitung, als Ansprechpartnerinnen, in Intervention und Prävention mitarbeiten. Die gesamte Sonderbeilage steht am Ende dieses Textes als pdf zum Herunterladen bereit. Der nachfolgende Beitrag, der ebenfalls in der Beilage enthalten ist, beschäftigt sich mit dem Konzept eines Forschungsprojekts zur sexuellen Gewalt in der Diözese Speyer:

Eine historische Detektivarbeit
Am 8. Mai ist es soweit – an diesem Tag werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie zu den Strukturen, Konstellationen und Hintergründen der sexuellen Gewalt in der Diözese Speyer vorgestellt.

Die mehr als 500 Seiten bilden den ersten Teil des Forschungsprojekts „Sexueller Missbrauch im Bistum Speyer durch katholische Priester, Diakone, Ordensangehörige und Mitarbeitende des Bistums“, das im April 2023 auf Initiative der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese Speyer (UAK) an den Start ging.

Verankert ist die vom Bistum finanzierte wissenschaftliche Arbeit am Historischen Institut der Universität Mannheim. Die Leitung liegt in den Händen von Dr. Sylvia Schraut, ehemalige Professorin am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr in München. Gemeinsam mit ihrem Team, bestehend aus einer Historikerin, einer Verwaltungswissenschaftlerin, einer Expertin aus dem Bereich Sozialpädagogik und zwei Hilfskräften, geht Sylvia Schraut im ersten Teil der Studie folgenden Fragen nach: Wie konnte es geschehen, dass der sexuelle Missbrauch im kirchlichen Kontext nicht öffentlich sichtbar, nicht geahndet und und nicht verhindert wurde? Und wie sollten zukünftig Aufsichts-, Entscheidungs-, Verwaltungsstrukturen und Präventionsmaßnahmen reformiert werden, um ähnliche Verbrechen zu verhindern? Aktuell wird von 109 beschuldigten Geistlichen sowie 41 Nichtklerikerinnen und Nichtklerikern im Zeitraum von 1946 bis 2023 ausgegangen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Taten hauptsächlich in den 1950er und 1960er Jahren.

Die Untersuchungen des Missbrauchsgeschehens erfolgen nach einem Konzept, das überwiegend die Handschrift von Sylvia Schraut trägt. Für ihre Arbeit erhielt das mehrköpfige Team Zugang zum gesamten Diözesanarchiv sowie zum aktuellen Verwaltungsgut. „Zunächst haben wir verschiedene Schwerpunkte gebildet“, beschreibt die Historikerin den Beginn der Forschungstätigkeit für den ersten Teil der Studie, der sich über zwei Jahre erstreckte.

So erstellten die Wissenschaftler eine Datenbank mit Grundinformationen von rund 1 500 Priestern und werteten sie aus. „Denn um feststellen zu können, ob ein Priester sich abweichend von der Norm verhalten hat, ist es notwendig, zu untersuchen, was der ,Normalfall‘ ist“, erläutert Sylvia Schraut die Vorgehensweise. In diesem Zusammenhang nennt sie etwa verdächtige Pfarrer, die sich auffällig oft in Gemeinden versetzen ließen, in denen es Einrichtungen für Kinder gab. Auf diese Weise sei es möglich, Strukturen, die Missbrauch begünstigten, zu erkennen. Eine typische Konstellation sei auch gewesen, Täter wegzuloben, um sie loszuwerden, statt zu untersuchen, was passiert ist. Dabei hätte das Bischöfliche Ordinariat reagieren und handeln müssen, stellt Sylvia Schraut klar, „denn im Kirchenrecht wird der sexuelle Missbrauch als Zölibatsverstoß gehandelt“. Moralische Aspekte seien dagegen nicht relevant.  

Im Fokus der Untersuchungen standen auch Kinder- und Jugendheime. „Von Interesse war für uns das Schriftgut dieser Einrichtungen, sofern sie dem Bischöflichen Ordinariat in Speyer entsprechende Akten zur Verfügung gestellt haben.“ Als Beispiele führt Sylvia Schraut das ehemalige Kinderheim Engelsgasse in Speyer, das Gymnasium Johanneum mit dem Ende der 1990er Jahre geschlossenen Internat des Ordens der Herz-Jesu-Missionare im saarländischen Homburg und das Jugendwerk St. Josef, ein Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Landau-Queichheim, an. „Die Berichte der Institutionen wurden von uns durchforscht und ausgewertet. Das Material war allerdings eher dürftig. Es fanden sich in der Regel keine Hinweise auf Fehlverhalten, weil die Übergriffe nicht dokumentiert wurden, um die potentiellen Täter zu schützen.“ In der Missbrauchsforschung werde in solchen Fällen, in denen keine Unterlagen und damit auch keine Erkenntnisse vorhanden seien, von „Dunkelräumen“ gesprochen.

Als ebenfalls wenig ergiebig erwiesen sich die Akten bei den zuständigen Gerichten und beim Landesarchiv. Denn viele Fälle seien verjährt gewesen, so dass es keinen Prozess gegeben habe, schildert die Studienleiterin das Pro-
blem. „Zudem sind Schriftstücke aus gerichtlichen Verfahren vernichtet worden, weil die Taten zu lange her sind. Nur in Einzelfällen jüngeren Datums erhielten wir brauchbare Unterlagen.“

Als unverzichtbare und wichtigste Quelle von Informationen, um aufarbeiten zu können, wertet das Forscherteam dagegen die Akten von Betroffenen, die beim Bischöflichen Rechtsamt in Speyer einen „Antrag auf Leistungen in Anerkennung des Leids“ gestellt haben, um einfach und ohne belastendes Gerichtsverfahren Geldleistungen zu erhalten. Denn die Schilderungen dieses Personenkreises, etwa in Bezug auf Täter, Tathergang oder den Umgang mit den Missbrauchsfällen von Personen im Umfeld der Betroffenen sowie von Seiten der Kirche, lieferten den Wissenschaftlern wichtige Erkenntnisse. Beispielhaft gibt Sylvia Schraut drei Menschen an, die nichts voneinander wissen, jedoch übereinstimmend den gleichen Beschuldigten nennen. Diese Fälle ließen darauf schließen, dass bei dieser Person gesichert von einem Missbrauchstäter ausgegangen werden dürfe, auch wenn er nicht mehr befragt werden könne, weil er verstorben sei.

„Um diese Akten auszuwerten, war es notwendig, von denjenigen, die das Leid erfahren mussten, erst einmal die Erlaubnis dafür einzuholen“, schildert Sylvia Schraut Hindernisse, die zu zeitlichen Verzögerungen führten. Froh und dankbar ist die Leiterin der Studie, dass das Rechtsamt die Anfragen an die nicht unerhebliche Zahl von Betroffenen übernommen hatte. Verweigerten Personen die Zustimmung oder gaben sie keine Rückmeldung, blieben die Akten geschlossen.

Zusätzlich führte die Sozialarbeiterin aus dem Forscherteam Gespräche mit diesem Personenkreis, um weitere Informationen zu erhalten. Die Kontakte liefen dabei über den Betroffenenbeirat. Ab und an hatten sich Gesprächspartner auch von sich aus gemeldet und sich an die Wissenschaftler gewandt. Die Aussagen dieser Männer und Frauen waren für die Forscher ebenfalls von unschätzbarem Wert. „Fragen wie: ‚Wieso hat ihnen ihr Vater nicht geglaubt? Warum wurde der Missbrauch nicht verfolgt? Wie wurde vertuscht?‘ sind für die Anerkennung des Leids nicht relevant. Für unsere Studie aber auf jeden Fall“, stellt die Projektleiterin klar. „Denn dadurch erhalten wir Kenntnisse darüber, wieso das Umfeld weg geschaut hat.“

Im Zuge der Forschungen gewannen die Heime mehr und mehr an Bedeutung. „Denn dort ist sehr viel passiert“, unterstreicht Sylvia Schraut. So sei es anhand der Akten und Gespräche der Betroffenen möglich, auch weltliche Beschuldigte zu ermitteln, wie etwa Hausmeister, die in diesen Einrichtungen arbeiteten. „An diese Leute kommt man über die sonstigen Dokumente im Bischöflichen Ordinariat nicht heran, da von ihnen keine Personalakten vorliegen.“

Um die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der Studie zu verschriftlichen, hatte das Team sich vor gut einem dreiviertel Jahr Gedanken darüber gemacht, wie der Stoff am besten zu gliedern sei. „Meine Mitarbeiter machten sich dann daran, die Texte für die verschiedenen Kapitel zu verfassen“, schildert Sylvia Schraut die weiteren Schritte. „In den vergangenen Wochen befanden wir uns schließlich in der Endredaktion.“ Abgabe an die Druckerei sei am 23. April gewesen. „Parallel haben wir schon begonnen, konzeptionell am zweiten Teil der Studie zu arbeiten, bei der konkrete Fallkonstellationen im Mittelpunkt stehen.“ (Petra Derst)

Download: Sonderbeilage PDF

Weitere Informationen im Internet auf: www.phil.unimannheim.de/geschichte/forschung/projektspeyer

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