Freitag, 20. Dezember 2024
Wo Leben ist, da ist Gott

An der Handschrift sehen wir, von wem der Brief ist. Gottes Handschrift ist das Leben, an ihm erkennen wir ihn. (Foto: Trombax/AdobeStock.com)
Unsere „Schlüsselfrage“ heißt: Wo ist Leben drin?
In unserem Wohnzimmer gibt es ein kleines Schränkchen, auf dem wir jedes Jahr die Weihnachtspost sammeln. Seit die meisten Grüße per WhatsApp oder Mail aufs Handy flattern, sind es etwas weniger geworden. Trotzdem landen jedes Jahr noch einige „echte“ Karten im Briefkasten. Meist genügt ein kurzer Blick, um zu erkennen, von wem sie sind: Cornelia hat viel Schwung in der Schrift, Thomas‘ Buchstaben sind eher groß und unverbunden, Steffi schreibt ganz klein, fast schnuddelig und Katharina sehr ästhetisch. Die Handschriften sind einzigartig und lassen mich sofort an die jeweiligen Absender denken.
Von einem Wort, das „gesendet“ wird, erzählen auch die ersten Verse des Johannesevangeliums. Dieses Wort ist allerdings viel mehr als das, was wir unter dem Begriff „Wort“ verstehen. Göttliche Kreativität gepaart mit dem fantasievollsten Schöpfergeist und urgewaltiger Schaffenskraft umschreiben es ein bisschen. Dieses Wort ist all das und mit ihm nimmt alles Leben seinen Anfang. Vor allem aber ist dieses Wort: unvorstellbar. Denn dieses Wort ist ein Gott, der aus sich herausgeht und im Sich-Verströmen die Welt überhaupt erst erschafft und durchdringt: „Alles ist durch das Wort geworden.“ Und dann: „In ihm war Leben.“
Das ist wuchtig und wiederum gar nicht so kompliziert: In ihm war Leben! Vielleicht klingt das zu einfach, aber vielleicht – und das wäre wirklich dumm – machen wir es uns manchmal unnötig schwer: Die Handschrift Gottes ist das Leben!
Also, los geht‘s: Überall, wo wir Leben entdecken und Lebendigkeit spüren, lesen wir seine Handschrift. Ist es, wenn du nach dem Besuch im Fitness-Studio deinen Körper wieder so richtig spürst? Ist es die würzige Luft im Pfälzerwald oder die salzige Priese an der Nordsee im Urlaub? Die zärtliche Berührung und das Kuscheln mit den Enkeln? Der genussvolle Sex mit dem Menschen, den du liebst? Ist es das Sinfonieorchester, das wie ein lebendiger Organismus Musik hervorzaubert, die noch lange in dir nachklingt? Das Bild, das in deinem Wohnzimmer hängt und dich noch nach Jahren fasziniert? Der Geschmack reifer Erdbeeren im Sommer? Ein Buch, das in deinem Kopf eine ganze Welt entstehen lässt, in die du eintauchst? Die Energie, wenn du dich mit vielen Mitmenschen auf einer Demo für Demokratie stark machst? Die Aufregung und das Gemeinschaftsgefühl auf dem Betzenberg? Vielleicht auch die stille Begleitung und Nähe zu einem Menschen, dessen Leben zu Ende geht? Ist es das feierliche Orgelspiel am Ende des Gottesdienstes oder die Ruhe der eucharistischen Anbetung? Setzen Sie diese Liste für sich selbst fort! Wo entdecken Sie Gottes Handschrift?
Wo ist Leben drin? Wo entdecke ich Gottes Handschrift? Ich bin überzeugt, dass uns diese Frage entscheidend weiterführt. Sie macht neugierig und offen für Neues. Sie teilt menschliche Erfahrungen nicht in Kategorien von gut und schlecht ein. Moralische Bewertung ist nicht ihr Ziel. Stattdessen berührt sie unser Herz und lässt uns unsere Bedürfnisse und die unserer Mitmenschen sehen. Mit der Frage nach dem Leben öffnet sich ein großer und weiter Raum, in dem wir freier denken und fühlen. Und dort, wo wir die Frage teilen und ihr nachgehen können, entstehen Wertschätzung und Verbundenheit.
Das führt uns nah heran an das Geheimnis der Weihnacht: Gottes Wertschätzung für die ganze Schöpfung und seine Verbundenheit mit unserem Menschsein – in aller Vielfalt und manchmal schwer zu ertragenden Vergänglichkeit.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Handschrift Gottes im neuen Jahr 2025 in vielen Erfahrungen und Begegnungen herauslesen können. Die Schlüsselfrage kennen Sie: Wo ist Leben drin? Und dieser Frage nachzugehen lohnt sich, denn „in ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“