Mittwoch, 18. Mai 2022
Was wird nur aus uns?
Corona, Krieg, Klima: Die weltweiten Krisen belasten Kinder und Jugendliche
Studien zeigen, dass ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter Symptomen leiden, die zum Bild einer Depression passen. Familienberater Christoph Hutter sagt, wie Eltern ihnen helfen können – und welche unbequemen Fragen sie sich dazu stellen sollten.
Eine neue Studie der Jugendforscher Klaus Hurrelmann und Simon Schnetzer zeigt, wie sehr Jugendliche und junge Erwachsene unter den aktuellen Krisen leiden. 45 Prozent der Befragten fühlen sich gestresst, jeweils ein Drittel ist antriebslos und erschöpft. „Das sind Symptome,
die im weitesten Sinn zum Bild einer Depression passen“, sagt Christoph Hutter, Leiter des Referats für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung im Bistum Osnabrück.
Die Jugendlichen leiden noch unter den Folgen von Corona: Homeschooling, kaum Kontakte, Einsamkeit. Jetzt dominiert die Angst vor dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen. Im Hintergrund spitzt sich die Klimakrise zu, die die Zukunft aller Menschen bedroht.
„Wie anstrengend ist es eigentlich, in dieser Welt groß zu werden?“, fragt sich Hutter. Er bringt die Zahlen der aktuellen Studie in Zusammenhang mit einer Studie der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf, die untersucht hat, inwiefern Jugendliche in den ersten drei Corona-Wellen belastet waren. „Nimmt man beide Studien zusammen, zeigt sich übereinstimmend, dass es einem Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland psychisch nicht gut geht“, sagt Hutter. „Das ist eine unfassbare und furchtbare Zahl!“
Ängste der Großeltern brechen in nächster Generation auf
Vor allem Russlands Angriffskrieg in der Ukraine sei eine völlig neue Herausforderung – für Jugendliche, aber auch für ihre Eltern. „Ich glaube, dass viele Kinder ihre Eltern noch nie so gesehen haben, wie sie sie momentan erleben. Sie sehen die Panik in ihren Augen“, sagt Hutter. Durch den Krieg würden viele Ängste der Großelterngeneration wieder aufbrechen, die an die nächste Generation weitergegeben und nie reflektiert worden sind: „Ich frage mich, ob es die Angst der Kinder und Jugendlichen ist – oder die der Eltern, die sich jetzt bei den Kindern niederschlägt.“ Die Jugendlichen fragen sich: Wie werden wir in Zukunft leben? Was werden wir uns leisten können? Welchen Beruf sollen wir wählen?
Hutter regt einen Diskurs darüber an, was gutes Leben ist. „Ich glaube, dass wir unseren Wohlstand durch einen ziemlich pervertierten Kapitalismus erkauft haben, der mit hoher Egozentrik und großer Ignoranz gegenüber anderen Menschen, anderen Ländern und der Umwelt einhergeht. Wir waren auf dem Planeten ‚Nimm dir!‘ unterwegs“, sagt er, auch mit Blick auf die Klimakrise. Die Gesellschaft müsse nun lernen zu schrumpfen. „Ein Kapitalist bekommt Panik, wenn er sieht, dass es weniger werden muss. Das werden wir aber lernen müssen“, sagt er. Er rät Eltern, die merken, dass ihre Kinder bedrückt sind, und die sich fragen, wie sie ihnen helfen können, sich zuallererst mit ihren eigenen Sorgen auseinanderzusetzen. Sie sollten sich fragen: Was heißt es für mich, dass wir in den vergangenen 40 Jahren über unseren Durst gelebt haben? Was heißt für mich genug? Was heißt für mich schrumpfen?
„Als Eltern müssen wir unsere Ängste klären, sonst ist es schwierig, unseren Kindern Mut und Hoffnung zu machen“, sagt Hutter. „Wir dürfen das Angst-Erbe, das unsere Großeltern und Eltern uns aufgebürdet haben, nicht weitergeben.“ (Kerstin Ostendorf)