Mittwoch, 05. Mai 2021
Am Rande des Ruins

Lebensmittelausgabe bei der Tafel: Wegen der Corona-Pandemie sind mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen – weil sie durch den Lockdown finanzielle Einbußen haben. (Foto: ÖKT)
Die Pandemie hat die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland vergrößert. Was hilft dagegen?
Durch Corona ist die soziale Ungleichheit im Land gewachsen. Vor allem Arbeitslose und Selbstständige sind betroffen. Sozialverbände und die Kirchen fordern deshalb, Reiche stärker zu belasten – zum Beispiel mit einer einmaligen Vermögensabgabe.
Der Befund ist eindeutig. Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben vor allem Menschen, die schon vorher kaum Geld hatten, mit Wucht getroff en. Zudem hat sich in den vergangenen vier Jahren die soziale Ungleichheit im Lande verfestigt. Das belegt der Entwurf des 6. Armuts- und Reichtumsberichts aus dem Hause von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Der mehr als 500-seitige Bericht soll in den kommenden Tagen von der Bundesregierung offi ziell verabschiedet werden.
Während einkommensstarke Haushalte durch wegfallende Reisen, geschlossene Läden und Restaurants seit dem Ausbruch der Pandemie oft mehr Geld auf dem Konto haben, mussten mindestens 15,5 Millionen Haushalte, darunter auch etliche Normalverdiener, Einkommenseinbußen hinnehmen. Rund 30 Prozent der Deutschen hätten inzwischen sogar Probleme bei der Deckung ihrer laufenden Ausgaben, so der Bericht. Vor allem Arbeitslose, Kurzarbeiter, Soloselbstständige, Einzelhändler sowie Alleinerziehende gerieten an den Rand des Ruins. „Die Armut frisst sich immer tiefer in die Gesellschaft hinein“, sagt der Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, der dem Gutachtergremium angehört. Laut Gutachten gilt bereits jeder fünfte Deutsche als sogenannter Niedriglöhner.
Zehn Prozent der Deutschen besitzen die Hälfte des Nettovermögens
Der Bericht belegt zudem: Wer einmal unter die Armutsgrenze rutscht, bleibt öfter länger arm als früher. So beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Menschen 44 Prozent und ist damit mehr als doppelt so hoch wie noch 1998. Auch auf dem Arbeitsmarkt hat Corona vor allem die Schwächeren getroff en. Zu den geschätzt 600 000 bis einer Million Menschen, die während der Pandemie ihren Job verloren, zählen vor allem gering Qualifizierte sowie Migranten.
Ein großes Gefälle gibt es zudem bei der Vermögensverteilung. Laut Gutachten besitzen die vermögensstärksten zehn Prozent Deutschen inzwischen über die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Etliche Reichere hätten von der Krise sogar profitiert; so habe allein der Eigentümer von Lidl und Kaufl and sein Vermögen zuletzt um 14,2 Milliarden Dollar, das sind rund 11,8 Millionen Euro, vermehrt, sagt Butterwegge. „Die sogenannte Mitte schrumpft, soziale Mobilität nimmt ab und soziale Ungleichheit steigt“, notiert dazu der Paritätische Gesamtverband.
Um die größten Härten der Pandemie abzumildern, hat Deutschlands größter Sozialverband VdK die Politik aufgefordert, Empfängern von Grundsicherung einen monatlichen Corona-Zuschlag von 100 Euro auszuzahlen. Die durch Corona verursachten Kosten müssten gerecht verteilt werden, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Zudem sollten Menschen und Betriebe mit großem Vermögen zu einer einmaligen Vermögensabgabe herangezogen werden. „Der Effekt wäre enorm, wir sprechen von zusätzlichen Steuereinnahmen im Milliardenbereich“, erklärte Bentele. Das sieht auch Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, so. Um die Auswirkungen der Pandemie zu bekämpfen, müssten „stärkere Schultern“ mehr belastet werden, betont er. Nur so könne aus der Krise „eine solidarische Zukunft erwachsen“.
(Andreas Kaiser)