Redaktion der pilger

Mittwoch, 19. März 2025

Verwundet und doch gläubig

Auf der Bühne beschäftigt sich Kai Christian Moritz auch mit religiösen und biblischen Fragen. (Foto: Oliver Mack)

Im Theater zeigt Kai Christian Moritz, wie sich Figuren verändern. Das erwartet er auch von seiner Kirche

Kai Christian Moritz hatte in seiner Kindheit einen Priester als Vormund. Bei ihm im Pfarrhaus erlebte er über Jahre sexualisierte Gewalt. Diese Erfahrungen haben ihn seelisch angegriffen, aber seine Spiritualität nicht zerstört. Heute setzt er sich als Künstler mit Religion auseinander.

Kai Christian Moritz hat Bilder von seiner Taufe im Gedächtnis. Damals war er zehn Jahre alt. Er weiß noch, dass zwei Geistliche ihn und seine alleinerziehende Mutter zu Hause in Bonn besuchten. Der evangelische schüttete das Wasser über seinen Kopf, der katholische fing es unten mit einem Becken auf. Diese Prozedur ergab sich aus der Familiensituation. Die Mutter war evangelisch, doch zur Verwandtschaft gehörte ein katholischer Priester. So habe es eine „ökumenische Taufe“ gegeben, sagt Moritz scherzhaft. Formal machte ihn die Taufe zum Protestanten, aber konfessionelle Unterschiede hält er nicht für entscheidend.

„In den ersten Jahren bin ich eher unkonfessionell aufgewachsen“, sagt er. Trotzdem war seiner Mutter die Taufe wichtig. Sie wollte warten, bis er den Vorgang bewusst wahrnehmen konnte. Ihre Brustkrebserkrankung kam der Zeremonie zuvor. Als das Taufwasser über Moritz’ Stirn floss, war der Tod seiner Mutter absehbar. Noch im selben Jahr stand der Zehnjährige ohne Familie im Leben.

Seitdem sind fast vier Jahrzehnte vergangen. Moritz ist heute 48 Jahre alt und arbeitet als Oberspielleiter an einem freien Theater in Würzburg. Er inszeniert Stücke und tritt als Darsteller auf. Immer begleitet von dem, was er den Mord an seiner Kinderseele nennt.

Der Cousin hat die Situation genutzt
Nach dem Tod seiner Mutter verschlägt es ihn vom Rheinland in ein Dorf in Hessen. Dort lebt sein Cousin, ein katholischer Priester, der nun als Vormund für ihn verantwortlich ist. Auf sein Betreiben tritt Moritz der katholischen Kirche bei, wird Ministrant und Mesner. Die Atmosphäre von Kirchenräumen gefällt ihm. Aber Kirche bedeutet für ihn auch Kontrolle und sexualisierte Gewalt durch seinen Cousin. „Er hat die Gelegenheit genutzt, dass unsere Schlafzimmer nebeneinander lagen“, sagt Moritz. Jugendliches Heranwachsen heißt für ihn, Objekt für einen anderen zu sein.

Dennoch erwägt er, Priester zu werden – und verwirft den Plan. Er spürt: Die im Pfarrhaus empfundene Ohnmacht lässt nicht zu, dass er sich in andere pastoral einfühlt. Vielmehr braucht er nach jahrelangem Missbrauch selbst Einfühlung. Die bekommt er von einer Freundin seiner verstorbenen Mutter, einer Psychologin. Seelisch entkräftet schafft er es 1997, sich ihr anzuvertrauen. Zwei Jahre ist er da bereits weg vom Pfarrhaus. Die Freundin handelt entschlossen. Sie fordert von Moritz’ Cousin ein Geständnis gegenüber seinen Vorgesetzten und den Rückzug aus der Pfarrseelsorge.

Das Eingreifen zeigt Wirkung, aber nicht so wie erhofft. Zweimal bekommen Moritz und die Psychologin Besuch vom Personaldezernenten des zuständigen Bistums Limburg. Dieser vermittelt einen Therapieplatz für Moritz. Doch eine Strafanzeige und ein Eintrag in die Personalakte des Priesters unterbleiben. Moritz erinnert sich so an die Gespräche: Der Dezernent habe an sein christliches Gewissen appelliert und gewarnt, er würde durch eine Strafanzeige das Leben seines Cousins zerstören. Ähnliches erlebt Moritz bei einer Aussprache mit dem Täter, der einen geistlichen Begleiter an seiner Seite hat. „Da wurde sehr rasch mit Glaubensbegriffen um sich geworfen“, erinnert sich Moritz. In dem Sinne, dass er zum Vergeben verpflichtet sei. Moritz verzichtet damals auf eine Anzeige. Sein Cousin kehrt nach mehrmonatiger Psychotherapie in Münsterschwarzach in seine Pfarrei zurück. Nach Aktenlage gibt es damals keine Vorkehrungen, um erneuten Missbrauch zu verhindern.

Mit seinen traumatischen Erfahrungen kämpft Moritz lange. Verzweiflung und Lebensüberdruss verdunkeln sein Leben. Er studiert in München Schauspiel und klassischen Gesang, befasst sich mit fernöstlicher Religiosität und erkennt: „Ich bin so auf der Basis der christlichen Texte und Bilder geprägt, dass ich mich gar nicht von ihnen lösen könnte, ohne meine Authentizität zu verlieren.“ Als Jesus und Judas tritt Moritz in Theaterstücken auf die Bühne. Er trägt die Evangelien als Monologe vor Publikum vor. Und 2024 ist er Mit-Regisseur bei den Fränkischen Passionsspielen in Sömmersdorf.

Mit dem Glauben an Gott und dem Werteverständnis der Bibel bricht Moritz nie. Mit der Kirche in ihrer aktuellen Gestalt schon, obwohl er ihr weiter angehört. Seit 2020 arbeitet er mit im Sprecherteam des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz. Moritz vertritt die Anliegen von Missbrauchsbetroffenen und setzt sich ein für eine Kirche, die den Menschen mehr Selbstverantwortung zutraut und niemanden ausgrenzt, auch vom Weiheamt nicht.

Liebe fordert auch den Abbau von Hierarchie
Als er sich fast 25 Jahre nach der Trennung von seinem Cousin erneut ans Bistum Limburg wendet, kommt ein kirchenrechtliches Strafverfahren in Gang. Es endet mit der Verurteilung des Täters. Dieser ist bereits zuvor auf eigenen Wunsch aus dem Klerikerstand ausgeschieden. Der frühere Personaldezernent des Bistums bittet Moritz in einer persönlichen Erklärung um Vergebung. Für Moritz wichtige Schritte, aber sie ersetzen aus seiner Sicht keine Reformen. „Ich habe gelernt, dass es liebende Menschen in der Welt gibt. Das hat mich gerettet“, sagt er. Liebe fordere jedoch Abbau von Hierarchie und Gleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern und Identitäten. An diesem Glauben hält er eisern fest. (Ulrich Bausewein)

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