Redaktion der pilger

Dienstag, 27. Dezember 2022

Warum Bäume uns anziehen

(Foto: AVTG /AdobeStock.com)

Einst mieden die Menschen den Wald. Er war ein Ort des Schreckens, der Geister, des Unwirtlichen. Heute ist er für viele ein fast schon spirituell aufgeladener Zufluchtsort, um wieder aufzutanken. Und gesund ist ein Waldaufenthalt auch.

Zum Frühlingserwachen lockt er mit dem ersten Grün, im Hochsommer bietet er kühlenden Schatten und im Herbst buntes Laub und raschelnde Blätter. Und auch im Winter gehen viele Menschen gerne in den Wald, um dort die Natur zu genießen und wieder zu sich zu finden. Sie scheinen intuitiv zu spüren, dass ihnen der Aufenthalt bei den Bäumen gut tut.

Der Biologe und Buchautor Clemens Arvay spricht von einer tiefen Verwobenheit zwischen Mensch und Natur. Die gesundheitsfördernde Wirkung eines Waldbesuches sei inzwischen unumstritten, so würden dort weniger Stresshormone wie Cortisol ausgeschüttet. In Japan sei das „Waldbaden“ – das Eintauchen in einen Wald mit allen Sinnen –
eine anerkannte Methode zur Vorbeugung von Krankheiten. In dem asiatischen Land gebe es inzwischen einen eigenen Forschungszweig, die Waldmedizin.

Japanische Wissenschaftler haben demnach herausgefunden, „dass der Wald wichtige Bestandteile des menschlichen Immunsystems aktiviert und stärkt“. Auch weitere internationale Studien verwiesen auf einen starken Zusammenhang zwischen der Anwesenheit von Bäumen und der menschlichen Gesundheit. Arvays These: „Unser Immunsystem wird durch Stoffe aus Bäumen nicht gestärkt, sondern wird umgekehrt durch die Trennung von diesen Stoffen im modernen Leben geschwächt.“ Sich bewusst der Waldluft auszusetzen, kann demnach heilsam sein. So wird beobachtet, dass Bäume sogenannte Terpene freisetzen – Proteine, die gegen Krebs schützen. Waldluft sei somit ein „wunderbares Arzneimittel“, und für jeden kostenlos nutzbar, der einen Wald in Reichweite hat. Das Einatmen dieser Luft gleiche einem „Cocktail aus bioaktiven Substanzen“ und sei „wie ein Heiltrunk zum Einatmen“.

Auch ohne das Wissen über die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse – die Verbundenheit mit der Natur scheint den Menschen in den Genen zu liegen. Schließlich leben Menschen seit weit über zwei Millionen Jahren in und mit der Natur. Der bekannte Psychotherapeut Erich Fromm nannte die Liebe des Menschen zur Natur und zum Lebendigen „Biophilia“. Der US-amerikanische Evolutionsbiologe Edward O. Wilson sprach später von einem „menschlichen Bedürfnis, sich mit anderen Lebewesen zu verbinden“, seien es Pflanzen oder Tiere.

Erst vor wenigen tausend Jahren entstanden große Städte, mit Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1800 nahm die Naturentfremdung weiter zu. Und mit ihr ein Unbehagen. Das spürte auch 1854 der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau. 1845 kehrte er der industrialisierten Massengesellschaft der noch jungen USA den Rücken und zog sich über zwei Jahre in die Natur zurück, besann sich auf ein einfaches Leben und schrieb danach seinen Klassiker „Walden oder Leben in den Wäldern“.

Es müssen ja nicht gleich Jahre sein. Ein Aufenthalt im Wald ist nach Ansicht des Biologen Clemens Arvay in jedem Fall gut für die Seele. Dort sei der Mensch ein Lebewesen unter unzähligen anderen Lebensformen. „Im Wald können wir sein, wie wir sind... Die Natur, die Tiere, die Pflanzen, sie beurteilen uns nicht“. Dieses „So-sein-dürfen-wie-man-ist“ sei „eine der bekanntesten psychologischen Heilwirkungen des Aufenthalts in der Natur“.

Auch mit Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ ist der Wald in den Fokus gerückt und hat den Lesern ganz unvermutete Eigenschaften nähergebracht: Bäume als soziale Lebewesen, die Schmerz empfinden, ein Gedächtnis haben, miteinander in engem Austausch sind und sich um ihre Kinder und Freunde kümmern, oder auch das Bild von Pilzen als „Internet des Waldes“, die Nachrichten zwischen Bäumen weiterleiten.

Rainer Brämer, Natursoziologe aus dem hessischen Lohra, stimmt die große Resonanz auf Wohllebens Bestseller allerdings nachdenklich. Dahinter macht er eine „abgehobene“ Naturvorstellung aus, die „immer vermenschlichter und spiritueller“ werde. Die Thesen des Försters bedienen laut Brämer die Vorstellung, im Wald als einer heilen Welt aufgehoben zu sein, die für einen sorgt. Für ihn zeigt sich darin eine pseudoreligiöse Naturverklärung als Ausdruck einer „neoromantischen Variante“ der Naturentfremdung.

Auch Clemens Arvays Vorstellung vom Wald sieht Brämer als „sehr interpretationsfähig“. Über dessen „Umdeutung biodynamischer Prozesse“ etwa am Beispiel von Terpenen sei eine „heftige Diskussion“ entbrannt. Brämer sieht in den letztlich unbeantwortet bleibenden „Botschaften“ der Bäume evolutionär entwickelte „Reiz-Reaktions-Muster“, nicht wie Arvay eine Form von Kommunikation mit der Umwelt. Damit werde der Wald vermenschlicht, ihm würden der Charakter eines Wesens zugeschrieben und bewusste Prozesse unterstellt. Dieses Bild lasse sich gut vermarkten, so Brämer.

Die Hinwendung zur Natur sieht der Natursoziologe auch als Fluchtreaktion von Bürgern moderner Hochtechnik-Zivilisationen auf die Verstädterung und zunehmende Digitalisierung. „Man will raus aus diesem Technotop“, so Brämer. Die Menschen seien froh, dass sie in der Natur „überschaubare Welten“ vorfänden, „in denen man sich zu Hause fühlen kann“. In diesem Kontext beobachtet Brämer seit längerem eine Wald- und Naturverehrung nach der mehrheitlich bejahten Devise: „Was natürlich ist, ist gut“.
Angelika Prauß (KNA)

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