Mittwoch, 21. April 2021
Diese Streitkultur fehlt uns heute

Apostelkonzil zu Jerusalem, Detail eines Fensters der Gedächtniskirche Speyer. Im Zyklus der Glasmalereien der Gedächtniskirche gilt das Motiv als „Pfingsten“. Um 1900, ausgeführt von Gustav van Treeck, München. (Foto: Dr. Anke Sommer, Wörth/zg)
Der Blick in die Apostelgeschichte offenbart Mut im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten
Am fünften Donnerstag nach Ostern ist in jedem Jahr (dieses Jahr am 6. Mai) in der Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 15,7–21) der Beschluss des Apostelkonzils zur Frage zu hören, ob auch „Unbeschnittene“, also Nichtjuden, getauft werden und damit zur Kirche gehören dürften.
Vorangegangen war eine unerwartete Entwicklung in der jungen Kirche. Die von Christus Begeisterten verkündeten das Evangelium, wo sie standen und gingen – wie Jesus bei den hebräischen Juden in Galiläa und Judäa, dann an Pfingsten bei den hellenistischen Juden, die zum Fest in Jerusalem waren, dann bei denen, die dem jüdischen Glauben aus anderen Völkern beitreten wollten (den Proselyten). Schließlich bei allen, die offen für die Botschaft Jesu waren. Besonders Paulus und Barnabas, aber auch andere der führenden Persönlichkeiten in der frühen Kirche wie zum Beispiel Petrus, machten hierbei die gute Erfahrung, dass das Evangelium angenommen wurde und – wie es die Schrift bezeugt – Gott selbst diesen Schritt durch die Sendung des Heiligen Geistes beglaubigte. Hier stellt sich nun die Frage: Waren die Apostel zu weit gegangen? Waren die Apostel bzw. die Kirche berechtigt, von der überlieferten Praxis Jesu, das Evangelium nur den Juden zu verkündigen, abzuweichen? Tatsächlich berichtet die Apostelgeschichte von „großer Aufregung“, „heftigen Auseinandersetzungen“ (Apg 15,2), ja sogar von „heftigem Streit“. Und was machten die Apostel? Sie hörten die Erfahrungen von Paulus und Barnabas an, wogen alle Argumente und auch die Aussagen der Schrift (des Alten Testamentes) dazu ab und fanden einen Kompromiss, der zur Öffnung der Kirche für die Nichtjuden – die Heiden – führte.
In einer sehr vergleichbaren Situation stehen wir und steht die Kirche heute mit der Frage, ob die Lebensgemeinschaft homosexueller Paare gesegnet werden kann. Wie bei der Verkündigung an die Heiden ist die Frage neu, weil sich in jüngerer Vergangenheit aufgrund humanwissenschaftlicher Erkenntnisse und deren Umsetzung in den staatlichen Gesetzen eine positive Neubewertung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften ergeben hat. Wie bei der Verkündigung an die Heiden bezeugen heute viele und wichtige Amtsträger der Kirche, dass auf vielen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften der Segen Gottes ruht und dort auch der Heilige Geist wirkt. Wie bei der Verkündigung an die Heiden entsteht über dieser Frage aber auch Aufregung, Auseinandersetzung und Streit.
Doch es gibt auch Unterschiede. Anders als damals kommt es heute nicht zu einem ehrlichen Austausch, bei dem offen gesprochen und aufmerksam zugehört wird. Durch das Schreiben der Glaubenskongregation soll dieser offene und ehrliche Austausch beim Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland geradezu verhindert werden. Anders als damals kommt es heute nicht zu einer umfassenden Würdigung aller Argumente und Argumentationslinien, die bei kirchlichen Entscheidungen zu Entwicklungen und Veränderungen der kirchlichen Morallehre in der gesamten Tradition maßgeblich waren. Und schließlich kommt es anders als damals heute nicht zu einem Beschluss einer Synode, eines Konzils noch des Papstes selbst. Denn die Glaubenskongregation stellt mit Aussage vom 15. März dieses Jahres fest: „Die Kirche hat nicht die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechtes zu segnen“.
Leider fehlt mit der gegenwärtigen, vermeintlich definitiven Entscheidung eine mutige Konflikt- und Streitkultur, die es im Jahr 49 beim Apostelkonzil in der Kirche offenbar noch gegeben hat. Zum Glück, denn sonst wäre die Apostelgeschichte nie geschrieben worden und die kleine Kirche innerhalb des Judentums wäre wahrscheinlich mit dem Untergang Jerusalems im Jahr 70 bereits Geschichte gewesen.
(Domkapitular Peter Schappert)