Mittwoch, 11. August 2021
Gott handelt – mit unseren Herzen und Händen

Strahlenmadonna im „Altenberger Dom“ bei Köln. Das Gotteshaus ist die ehemalige Zisterzienser-Klosterkirche mit dem Patrozinium St. Mariä Himmelfahrt. (Foto: KNA)
Am Fest Mariä Aufnahme in den Himmel finden in vielen Kirchen Kräutersegnungen statt.
Mit den Blumen und Kräutern werden Schönheit und Lebenskraft der Schöpfung in den Gottesdienst hineingenommen. Mit dem Segen werden sie zum heilsamen Dienst an Menschen und Tieren bestimmt und sind darin ein Zeugnis des Glaubens.
Auch in unserem Evangelium geht es um Schönheit und Lebenskraft der Schöpfung, um Ursprung, Wachstum und Fülle des Lebens. Zwei schwangere Frauen begegnen sich, Freude und Frieden liegt über der Szene. Die Kinder, die sie tragen, sind von Gott geschenktes Leben. Und dieses Leben will reifen, sich entfalten und fruchtbar werden. Der Geist Gottes hat die Frauen erfüllt. Elisabeths Kind – es ist Johannes, der einmal mit dem Finger auf den jüngeren Jesus hinweisend deuten wird – hüpft in ihrem Schoß voller Freude. Und seine Mutter preist Maria selig, weil sie „geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“
Und Maria singt ihr wunderbares Lied: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Sie nennt Gott groß und sich klein, „Magd“ können wir auch mit „Sklavin“ übersetzen. Sie, die Sklavin, hat er erwählt, sie mit einer unvergleichlichen Würde ausgezeichnet vor allen anderen Frauen – und Männern, sie über jede menschliche Autorität gesetzt. Eine Frau ohne Ansehen, ohne Rang und Namen, deren Wort nichts gilt, sie schaut Gott an und tritt in ein Gespräch – auf Augenhöhe! – mit ihr ein. Er braucht sie. Will sie für seinen Plan gewinnen, einen Plan, der nichts mehr und nichts weniger bedeutet als die Rettung der Menschen, der Welt, ihre Befreiung zum endgültigen wunderbaren und schönen Raum des Lebens. Ein Lebensraum, der sich schließlich ausfalten will über den Tod hinaus – in die Ewigkeit.
Und Maria hat ihr freies Ja zu diesem Plan gegeben. Alles findet in einem Raum der Liebe statt. In einem Raum ohne Macht, ohne Gewalt, ohne Manipulation, aber völliger Transparenz, Achtsamkeit und Zuneigung. Gott liebt. Er liebt Maria, und Maria gibt ihr freies Ja als liebende Antwort. Gott in all seiner Größe und Unfassbarkeit drängt nicht, ängstigt nicht, engt nicht ein, er gibt vielmehr freien Raum. Er bittet, wirbt um Maria, um ihren Glauben und ihr – letztlich uns – befreiendes Ja.
Maria singt und preist Gott groß als den handelnden Gott. Nicht Gott, der fern ist, der die Welt sich selbst und ihrem Lauf lässt. Einen Gott, der da ist, Anteil nimmt und – Anteil gibt an seinem eigenen Leben. Damit Mensch und Welt leben können. Einen Gott, dem es nicht egal ist, wie es in dieser Welt zugeht. Der will, dass Recht und Gerechtigkeit das Leben erfüllen (Am 5,24).
Plötzlich wird dieses Freudenlied zu einer politischen Kampfansage. Ausleger warnen davor, hier einen Aufruf zur Revolution zu sehen. Mag sein. Und wenn doch? Der Gott, von dem Maria singt, ist kein liberaler Nachtwächtergott, der die Mächtigen machen lässt. Mit ihm muss man rechnen. Er handelt aber auf seine Weise. In Maria, auch in Elisabeth. Leise und unscheinbar, unbemerkt von den Menschen beginnt sein Plan. Und er tritt selbst auf in dem menschlichen Theater: Jesus ist das authentisch menschgewordene Wort Gottes. Und er bleibt die radikale Herausforderung der Mächtigen und Reichen! Die Bergpredigt (Mt 5,1–7,29) ist nicht mehr aus der Welt zu tilgen. Und der Versuch, das Evangelium am Kreuz totzuschlagen, ist seit dem Osterruf: „Er lebt“ ad absurdum geführt.
Seit zweitausend Jahren sind Christinnen und Christen in der Nachfolge Jesu Provokation und Hoffnung: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ Die Angst der Reichen vor dieser Botschaft ist enorm. Und vielfältig sind die Versuche, Kirche und Botschaft zu „bändigen“.
Aber ist das nicht alles Utopie? Handelt Gott wirklich in unserer Welt? Wenn wir uns umschauen: Wo ist Recht und Gerechtigkeit? Gerade in Coronazeiten? Impfstoff bei uns im Überfluss, Impfstoffmangel in den armen Ländern. Von Kriegen, Unterdrückung und Ausbeutung ganz zu schweigen. Und die alltäglichen Ungerechtigkeiten? Hier Wohlstand, dort Armut. Selbstverschuldet? Dann gerechtfertigt?
Maria zeigt uns: Gott handelt, er spricht auch zu uns. Wir könnten ihn hören. Er zwingt nicht, er ruft, manchmal nur sehr leise, er bittet, bettelt geradezu um unser Ohr. Seine Stimme ist die Stimme der Liebe, vielleicht ist sie deswegen so schwer zu verstehen? Gott liebt jeden von uns wie Maria. Er braucht auch unsere Hilfe, er braucht unser freies Ja zu seinem Plan, die Welt zu retten. Das geht nur mit uns. Er handelt mit unserem Herzen und unserer Hand. Auch wenn wir nur kleine Fähigkeiten, schwachen Willen und Kräfte haben. Seine Gnade hilft. Er überfordert mich nicht, aber mein Ja, aus Liebe in Freiheit gesprochen, kann er befreien zu Fruchtbarkeit und Schönheit und Heilsamkeit des Lebens. So beginnt Weihnachten und Ostern in einem – in mir. Täglich.(Thomas Bettinger)