Mittwoch, 08. September 2021
Heilig ging es nicht immer zu

Was Frauen und Männer einst erleben konnten, die einen evangelischen Christen heiraten wollten, wird in der Szene mit der Kirchenputzfrau „Adelheid“ dargestellt. (Foto: Greiner)
Glaubens- und Kirchenleben: Theater Kauderwelsch aus Neupotz führt Projekt auf
Während der Renovierungsarbeiten an der Neupotzer Kirche St. Bartholomäus war 2018 die Idee entstanden, Geschichten rund um die Kirche und den Glauben zu sammeln. Marianne Stein und Eva Jung wollten aber keine Geschichten von irgendwem sammeln, sondern „wir wollten Leute hier vom Ort, die das alles erlebt hatten“, betont Jung, die zusammen mit Stein die Leitung des Projektes übernahm.
Bald war eine 16-köpfige Gruppe gefunden, die bei der Spurensuche mitmachen wollte. Mehrere Menschen aus Neupotz und Umgebung waren bereit, von ihren persönlichen Erlebnissen zu berichten, die sie in den Jahren zwischen 1925 und 1970 mit der Kirche, ihren Würdenträgern und Kirchendienern gemacht hatten. Jung und Stein sammelten viele der erzählten Erinnerungen in dem Buch „HeiligenScheinHeilig“ und in dem gleichnamigen Theaterstück, das in den ersten beiden Septemberwochenenden in und um die Neupotzer Kirche aufgeführt worden ist. Die 14 Vorstellungen waren schnell ausverkauft, denn die Theatergruppe Kauderwelsch hat sich schon in den Jahren vor Corona einen Namen in der Region gemacht und steht für Theater vom Feinsten.
Die Vorstellung selbst begann in der Kirche St. Bartholomäus und das im wahrsten Sinne des Wortes ganz zu Anfang bei Adam und Eva. Im Prolog erzählen eine Frau und ein Mann in kurzer Form die alttestamentlichen Geschichten von der Vertreibung aus dem Paradies, was es mit der Sintflut und Noah auf sich hatte, wer der Vater der drei Weltreligionen ist und wem Gott die Zehn Gebote übergeben hatte. Der Prolog mündet in das Neue Testament und in die Botschaft von Jesus: „Ehre Gott und liebe deinen nächsten wie dich selbst.“
Die Textbeiträge sind mit einer ausdruckstarken live-Tanzperformance von Ilka Bischoff begleitet. Schon geht es mit einem größeren Zeitsprung weiter in die Kirchengeschichte der Neuzeit. Die verschiedenen Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin werden in schnellen Szenenwechseln und mit authentischen Kostümen vorgestellt.
Dazu wird die eigene Neupotzer Kirchengeschichte erzählt und dass das Glaubensbekenntnis in der Region seinerzeit mehrmals von evangelisch zu katholisch und umgekehrt gewechselt werden musste. Ein weiterer Zeitsprung erfolgt in die Zeit der beiden Weltkriege. Im Zweiten Weltkrieg holen die Nationalsozialisten viele Glocken, um daraus Munition zu machen, so auch in Neupotz. Als nach dem Krieg der damalige Neupotzer Pfarrer ohne Absprache mit dem Ordinariat in Speyer Glocken mit Spendenmitteln kaufen möchte, kommt es zum Konflikt mit dem damaligen Speyerer Bischof. Die Dialoge zwischen Pfarrer und Bischof werden szenisch umgesetzt, auch mit Humor und einem Augenzwinkern.
In vielen folgenden Szenen werden aber auch Schwierigkeiten thematisiert, die die Menschen mit den damaligen Glaubens- und Kirchenvertretern hatten. Etwa mit einem Franziskanermönch auf seiner Missionsreise nach Neupotz, der die Kinder den „rechten Glauben“ lehrte. Da drohte schon mal die Prügelstrafe, wenn das Gelernte nicht richtig umgesetzt wurde. Dann war da noch die Adelheid, die einen „Evangelen“ liebte und heiraten wollte. Der damalige Pfarrer wollte die Trauung nur durchführen, wenn der Traustuhl in der Kirche drei Meter nach hinten gestellt wird. Szenisch wurde auch umgesetzt, wie es damals in der „Kinnerschul“ (im Kindergarten) war oder wie für die Kinder in der damaligen Zeit die Beichte ablief und dass auch schon mal ein Beichtzettel weitergereicht und ausgeliehen wurde, damit man dem Pfarrer etwas erzählen konnte.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer des Neupotzer Theaterstückes verfolgen alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Im Titel des Stücks ist es schon angedeutet: Vieles Dargestellte erscheint wahrlich nicht immer heilig. (Yvonne Greiner)