Donnerstag, 11. März 2021
Caritas antwortet auf Kritik
Speyerer Caritas-Verantwortliche zum Streit über einen Flächentarif in der Altenpflege
Im Streit um einen Flächentarifvertrag in der Altenpflege steht die Caritas in Deutschland weiterhin unter Druck. Auch der Vorstand des Diözesanverbandes Speyer wird mit Anfragen und „mit teils heftigen Reaktionen konfrontiert“, wie der Vorsitzende des Caritasverbandes für das Bistum, Domkapitular Karl-Ludwig Hundemer, und Diözesan-Caritasdirektor Vinzenz du Bellier in einem gemeinsamen Brief an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum berichten.
Hintergrund der Auseinandersetzungen: Die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) der Caritas auf Bundesebene hatte es am 25. Februar abgelehnt, dem Antrag auf eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags Altenpflege zuzustimmen, der zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) ausgehandelt worden war. Vor allem sollte der Vertrag zu einer finanziellen Besserstellung vieler Beschäftigter führen. Da einem solchen Verfahren beide kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Caritas und Diakonie, nach einem Gesetz aus dem Jahr 2019 zustimmen müssen, ist ein Flächentarif in der Pflege, wie von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angestrebt, damit vorerst gescheitert. Die Arbeitnehmervertreter in der Caritas-Kommission hatten für einen Tarifvertrag gestimmt. Sie sehen eine Chance vertan. Die Diakonie hatte ihre Beschlussfassung einen Tag nach dem Veto der Caritas-AK abgesagt, so dass jetzt vor allem die Caritas im Kreuzfeuer der Kritik steht.
Die Kirchen und ihre Sozialverbände handeln Löhne und Gehälter nicht mit Gewerkschaften, sondern in eigener Regie in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen aus und sprechen dabei von einem „dritten Weg“. Rund 30 Prozent der 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege arbeiten in kirchlichen Einrichtungen. Im Bistum Speyer stehen 14 Altenzentren mit mehr als tausend Beschäftigten in Trägerschaft des Diözesan-Caritasverbandes.
Mit vielen Fragezeichen
Die Caritas in Deutschland steht nach der Entscheidung vom 25. Februar in den Augen mancher als Buhmann da, der bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in der Branche verhindert habe. Hundemer und du Bellier bedauern, dass es „offensichtlich nicht gelungen ist, die Hintergründe und komplexen Zusammenhänge so darzustellen“, dass sie verständlich in der Öffentlichkeit hätten kommuniziert werden können.
Die Speyerer Caritas-Verantwortlichen teilen die Befürchtung der Arbeitsrechtlichen Kommission, dass sich mit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages Altenpflege „die Situation der Beschäftigten in der Pflege nicht verbessern, sondern im Gegenteil verschlechtern würde“. Sie vermissen ein grundsätzliches Tarifwerk, bei dem es nicht nur um die Erhöhung des Mindestlohns in der Pflege gehen könne, sondern auch um Punkte wie betriebliche Altersversorgung, passgenaue Arbeitszeitmodelle oder die Regelung von Überstundenzuschlägen. Die meisten Beschäftigten in der Pflege, die im öffentlichen Dienst, bei Caritas oder Diakonie angestellt seien, verdienten um einiges mehr als es der „Tarifvertrag Altenhilfe“ vorgesehen hätte. Auch wenn ein allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag nicht zu Einbußen für die eigenen Beschäftigten geführt hätte, sehen Hundemer und du Bellier darin keinen erfolgversprechenden Weg, die eklatante Kluft zwischen den Vergütungs-Niveaus der verschiedenen Anbieter zu überwinden. Es sei zudem zu befürchten, „dass die Kostenträger (Kranken- und Sozialkassen) sich zukünftig an dem deutlich niedrigeren Niveau des Tarifvertrag Altenhilfe als Norm orientieren und die Mehrkosten der Einrichtungen nicht mehr refinanzieren, die höhere Löhne zahlen“.
Umfassende Pflegereform
Hundemer und du Bellier setzen auf eine umfassende Pflegereform auf Bundesebene. So verweisen sie auf einen Vorschlag aus dem Bundesgesundheitsministerium, die Zuzahlung der Bewohnerinnen und Bewohner zu deckeln und die Zulassung einer Pflegeeinrichtung an eine Tarifbindung zu koppeln. Dies könnte das gemeinsame Ziel einer nachhaltigen Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Altenpflege entschieden stärken. Ausdrücklich verweisen sie auch auf die Mitarbeit in der Pflegekommission, dem Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern der privaten, frei-gemeinnützigen sowie kirchlichen Pflegeeinrichtungen, das der Regierung Vorschläge unterbreitet für die Festsetzung von Mindestlöhnen in der Pflegebranche.
Verlust von Vertrauen
Caritas-Präsident Peter Neher hat die Entscheidungsstrukturen des Wohlfahrtsverbandes und die Unabhängigkeit der Arbeitsrechtlichen Kommission nach dem Nein zu einem bundesweiten Tarifvertrag in der Altenpflege gegen Kritik verteidigt. Er räumte jedoch ein, dass die Entscheidung vom 25. Februar erst einmal eine höhere Entlohnung vieler Pflegekräfte außerhalb der Caritas verhindere – in einer Pandemie, die diesen Menschen unheimlich viel abverlange. Dies schade der Glaubwürdigkeit der Caritas.
Soziale Berufe insgesamt
Die Speyerer Caritas-Verantwortlichen bedauern eine Engführung durch die Fokussierung auf das Thema Tarifvertrag Altenpflege. Hundemer und du Bellier verweisen auf eine notwendige Aufwertung der sozialen Berufe insgesamt, auch die anderen Berufsgruppen verdienten mehr öffentliche Anerkennung – und bessere Bezahlung. Allein im Bereich des Speyerer Caritasverbandes seien neben rund tausend Beschäftigten in der Altenpflege etwa 2 500 in anderen Bereichen tätig, in karitativen Einrichtungen im Bistum insgesamt mehr als 16 .000. (kna)