Donnerstag, 24. Juli 2025
Gespräch mit einem Schweigenden

Daniel Beerstecher hört zu – und schweigt. Kommunikation ist möglich, über einen Schreibblock. (Foto: KNA)
In Stille durch ganz Deutschland, das ist das Ziel von Daniel Beerstecher. Der Stuttgarter Künstler läuft und schweigt. Mitte August auch in der Pfalz, in Edenkoben, Neustadt und Speyer.
Wenn man ein Jahr schweigend durch Deutschland wandern will - welche letzten Worte würde man dann vorher sprechen und zu wem? Der Stuttgarter Performance-Künstler Daniel Beerstecher startet jetzt zu einer einjährigen Schweigewanderung quer durch Deutschland. Sein Ziel: sich "ganz der Kraft des Zuhörens widmen". Zum Start sprach er in einem Künstlergespräch mit dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in der katholischen Kirche Sankt Maria in Stuttgart seine "letzten Worte - für ein ganzes Jahr". Dabei richtete der 45-Jährige seine finalen Sätze an seine Ehefrau. Er dankte ihr für ihre Liebe, ihren Mut und ihre Unterstützung und schloss mit den Worten: "Danke, dass Du in meinem Leben bist."
"Ich bin für ein Jahr im Schweigen"
Noch bis diesen Donnerstag um 19.00 Uhr wollte Beerstecher um die Stuttgarter Kirche herum präsent sein, bevor er weiterwandert - "ganz still, doch voll zugewandt". Menschen, die ihm dort begegnen, seien "eingeladen zu sprechen: über das, was sie bewegt, was gesagt werden will", hatte die katholische Kirche in Stuttgart vorab mitgeteilt.
So sitzt er da, fast unbemerkt, unter einem großen Baum auf dem Platz vor der Kirche, auf einem Holzstuhl, vor ihm ein kleiner runder Holztisch mit einer Plastikflasche Wasser und Gläsern. Davor: ein weiterer - leerer - Holzstuhl. Nimmt man Platz, kann man das Ansteckschild an seinem Hemd lesen: "Ich bin für ein Jahr im Schweigen. Aber ich höre Dir gerne zu."
"Es war von Anfang an verrückt"
Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) trifft ihn dort zu Beginn seiner Wanderung - es wird eine Art Interview mit einem Schweigenden. Beerstecher beantwortet Fragen, indem er nickt, lächelt, den Kopf schüttelt oder kurze Antworten auf einen Zettel schreibt. Etwa auf die Frage, ob solch ein Vorhaben, ein Jahr lang kein Wort zu sprechen, nicht ziemlich verrückt sei?
"Es war von Anfang an verrückt", schreibt er. "Deshalb weiß ich auch, worauf ich mich eingelassen habe." Und er fügt lächelnd mit Blick auf die ungewöhnliche Gesprächssituation hinzu: "Ein Interview mit einem Schweigenden - eigentlich auch eine verrückte Sache."
Sensibler für die Umgebung
Hier auf dem Platz vor der Kirche Sankt Maria gebe es "so unterschiedliche Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten", berichtet der Künstler von drei Begegnungen allein am Dienstag. Tatsächlich wird man nach einigen Minuten des "Gesprächs" mit dem Schweigenden selbst sensibler für das, was um einen herum geschieht: Da ist der Wind, der die Blätter des Baumes rascheln lässt, da sitzt ein Paar, das sich zugewandt im Schatten auf einer Bank unterhält, aber auch ein Mann, der in einem roten kurzen Kleid vorbeiläuft - und grüßt. Und da ist eine Frau mit Sonnenhut, die mit einem laut gestellten Handy telefoniert.
In den vergangenen Jahren kam Beerstecher die Welt nach eigenen Angaben immer verrückter und lauter vor. "Ich habe das Gefühl, dass wir in einer Zeit leben, in der die Polarisierung immer mehr zunimmt. Mir geht es darum, dieser Entwicklung als Kontrast die Stille entgegenzustellen."
"Zuhören ohne Bewertungen"
Nach dem jetzigen Projekt "Ich höre zu - Ein Jahr im Schweigen", bei dem er bei Gastgebenden oder in der freien Natur übernachte und mit leichtem Gepäck lebe, werde er im Sommer 2026 nach Sankt Maria zurückkehren, um dort sein Schweigen zu brechen und von seiner Reise zu erzählen, so die Kirchengemeinde. Neben Installationen, Collagen und Videos hat der 1979 in Schwäbisch Hall geborene Künstler in den vergangenen Jahren mehrere "Fortbewegungsprojekte" realisiert. So fuhr er etwa mit einem Segelboot auf Rädern durch Patagonien.
Bei seiner jetzigen einjährigen Schweigewanderung bis Lübeck und Greifswald im Norden sowie Freiburg und Konstanz im Süden will Beerstecher für die Kommunikation Zettel mitnehmen - aus denen später eine Kunstinstallation werden könnte - oder auch ein Buch. Zudem wird er von dem in Stuttgart lebenden Filmemacher Alvaro García begleitet. Am Gehen fasziniere ihn die Entschleunigung, sagte Beerstecher vor Reiseantritt der "Stuttgarter Zeitung". "Die Sehnsucht, Ruhe im Kopf zu kriegen, erfüllt sich im Gehen." Beerstecher ist überzeugt: "Wenn einer schweigt, kann die Verbindung viel tiefer werden als mit den üblichen Einwürfen und Bewertungen."
"In der Muttersprache Gottes unterwegs"
Wer dies selbst erlebt, spürt, dass da etwas dran sein könnte. Am Ende ist einem der schweigende Gesprächspartner genauso vertraut, als hätte er gesprochen. Man würde nur gerne noch seine Stimme hören. Doch da befindet er sich in guter Gesellschaft. Ein Ordensmann im Kloster Neustadt, wo Beerstecher Station machen will, habe ihm gesagt: "Sie sind nun ein Jahr in der Muttersprache Gottes unterwegs."
Unterwegs in der Pfalz
Derzeit im Badischen unterwegs, erreicht Beerstecher voraussichtlich am 14. August das Herrenhaus Edenkoben, wo er 2010 selbst Stipendiat war. Am Freitag, 15. August, sitzt Daniel Beerstecher dann von 14 bis 19 Uhr bei schönem Wetter im Garten des Herrenhaus (Klosterstraße 175). Menschen, die vorbeikommen, begegnet der Künstler ganz im Schweigen und trotzdem in voller Aufmerksamkeit. Willkommen sind alle, die sich darauf ein lassen möchten – auf eine besondere Begegnung und einen besonderen Austausch. Es kann gemeinsam in Stille verweilt werden, der Gast kann einfach sprechen oder auch Fragen stellen. Die Beerstecher dann vielleicht schriftlich beantwortet.
Im Schweigen unterwegs sein – auch das ist mit dem Künstler möglich. Denn am Samstag, 16. August, wandert Daniel Beerstecher eine Etappe von Edenkoben zum Kloster Neustadt. Dabei können ihn Interessierte begleiten. Die etwa 14 Kilometer lange Strecke führt über die Kalmit und bewältigt so auch rund 500 Höhenmeter. Auch wenn eine gewisse Kondition vonnöten ist, so schafft das Gehen in Stille mehr Verbundenheit und Aufmerksamkeit, etwa für die durchwanderte Natur. Los geht es um 9 Uhr am Herrenhaus Edenkoben. Eine kurze Anmeldung per E-Mail an kontakt@ich-hoere-zu.com ist wünschenswert.
Es gibt noch zwei weitere Möglichkeiten zur Begegnung mit dem schweigenden Künstler: Im Park des Kloster Neustadt ist Daniel Beerstecher am Sonntag, 17. August, zwischen 13 und 18 Uhr anzutreffen. Von dort wandert Beerestecher schließlich nach Speyer. Am Mittwoch, 20. August, ist Daniel Beerstecher von 13 bis 17 Uhr beim Pilger-Verlag präsent. Bei entsprechendem Wetter sitzt er im Hof des Klosters St. Magdalena (Hasenpfuhlstraße 32) und begegnet allen, die mit dabei sein möchten, im Schweigen.
Mehr im Internet unter https://ich-hoere-zu.com