Redaktion der pilger

Mittwoch, 15. November 2017

Jeder soll seine Talente einsetzen

Angst vor Fehlern und Scheitern ist dabei ein schlechter Ratgeber – Gedanken zum Matthäus-Evangelium 25, 14–15.19–21 von Pastoralreferent Martin Wolf

Ein Gleichnis wie aus den Wirtschaftsnachrichten. Und dazu noch eines, das das Herz jedes überzeugten Kapitalisten höher schlagen lässt. So zumindest erscheint es auf den ersten Blick. Da übergibt einer, der längere Zeit abwesend sein wird, sein Vermögen (heute vielleicht: seine Firma, Praxis, Kanzlei) in die treuen Hände seiner Angestellten. Dabei ist keineswegs von Kleinigkeiten die Rede. Zum Vergleich: Um nur ein einziges Talent durch seine Arbeit zu verdienen hätte ein Tagelöhner zur Zeit Jesu rund zwanzig Jahre (!) schuften müssen. Jeder der drei Diener erhält also ein für damalige Verhältnisse fast unvorstellbares Vermögen.

Was die Diener damit machen sollen, wird nicht erzählt. Der Verlauf der Geschichte legt aber nahe, dass es dem reichen Mann ausschließlich um die Vermehrung seines Vermögens geht. Diese scheinbare Fixierung auf den Gewinn war es auch, die mich bei dieser Geschichte früher bisweilen ratlos und verärgert zurückgelassen hat. Jesus gewissermaßen als Pate aller Spekulanten? Verstörend! Und doch bleibt diese Sicht an der Oberfläche. Darunter ist das Gleichnis nämlich weder ein Lobgesang aufs kapitalistische Wirtschaften noch auf Spekulantentum und hemmungslose Profitsteigerung. Anders gesagt: Nicht auf das Ergebnis kommt es Jesus mit seinem Gleichnis an, sondern auf die Art und Weise, wie die drei Diener an den Auftrag herangehen.

Der dritte und letzte Diener ist dabei besonders interessant. Sein Schicksal erfährt man, wenn man das Evangelium ungekürzt liest. Während die ersten beiden das übergebene Vermögen nämlich sofort einsetzen und damit arbeiten, verweigert sich der dritte. Dabei macht er nicht mal etwas falsch. Er macht einfach gar nichts. Aus Faulheit, so wird ihm unterstellt. Für mich greift diese Unterstellung zu kurz, denn der Mann ist nicht einfach faul. Er will schlicht kein Risiko ein- und lieber auf Nummer Sicher gehen. „Weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld versteckt“, erläutert er selber sein Verhalten. Eine Begründung, die der reiche Mann freilich nicht akzeptiert. Der ängstliche Diener fliegt raus!

Die kirchliche Tradition hat das Gleichnis fast immer in eine bestimmte Richtung ausgelegt: Jesus erzähle darin von seinem Weggang nach Tod und Auferstehung und von seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. Die Zeit dazwischen gehört uns, seinen Dienerinnen und Dienern. Es ist vielleicht ein glücklicher Zufall, dass die biblische Einheit „Talent“ eine Entsprechung in der deutschen Sprache hat. Mit dem Talent eines Menschen meinen wir freilich nicht sein Geldvermögen, sondern zumeist die Summe seiner Begabungen und Fähigkeiten und sind damit schon nah dran am Evangelium. Denn auch hier geht es darum, überhaupt etwas aus den erhaltenen Gaben zu machen. Erfolg und Rendite sind dabei nebensächlich. Der reiche Mann unserer Geschichte wäre nach eigener Aussage ja auch mit einem bescheidenen Zinsertrag zufrieden gewesen. Sein Ärger rührt vielmehr daher, dass einfach gar nichts aus dem anvertrauten Talent gemacht wird. Die Angst vor dem Versagen und Scheitern ist für ihn jedenfalls kein überzeugendes Argument.

Martin Luther hat diese Angst ja fast in den Wahnsinn getrieben. Seine damals bahnbrechende Erkenntnis, dass Gott uns auch mit all unserem Unfertigen und Stümperhaften annimmt und liebt, gilt heute so wie damals. Und so darf das Gleichnis auch gelesen werden als Aufruf und Mahnung in der aktuellen Situation der Kirche. Sich eingraben und auf bessere Zeiten hoffen aus Angst vor Veränderung kann demnach keine Lösung sein. Ebenso wenig wie der immer wieder gehörte Wunsch, es möge doch möglichst alles so bleiben wie es ist. Die Kirche ist uns von Jesus selber anvertraut. Jeder ist aufgerufen, seine individuellen Talente, seine Fähigkeiten und Begabungen in diese Welt und in die Kirche einzubringen. Papst Franziskus hat, im Sinne unseres Gleichnisses, ausdrücklich dazu ermutigt. Das schließt Experimente ein und immer wieder auch das Risiko zu scheitern. Leben war noch nie als Rundum-Sorglos-Paket zu bekommen.

Das Gleichnis, mit dem ich früher gehadert habe, macht mir deshalb heute sogar Mut. Mut, mich an meinem Platz in der Welt und der Kirche mit meinen Talenten und Charismen einzubringen, selbst dann, wenn es nur einziges sein sollte. Mut, auch mal akzeptieren zu können, dass nicht alles perfekt und für die Ewigkeit gemacht sein muss. Dass Leben vielmehr ständige Bewegung und Veränderung bedeutet, auch in unserer Kirche und dass ich nicht zuschauen soll, wie das Leben an mir vorbeizieht – bis es irgendwann zu spät ist. Ja, dass ich bei allem, was ich tue, auch immer wieder stolpern und scheitern darf, um danach aufzustehen und es neu zu versuchen.

Der Herr in unserem Gleichnis, hinter dem ich getrost Gott sehen kann, hat mir nicht nur meine Talente gegeben. Er will auch, dass ich sie einsetze und etwas daraus mache. Für mich und andere. Nur eines, das soll ich auf gar keinen Fall: Gar nichts tun.

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