Redaktion der pilger

Freitag, 13. Mai 2022

Spuren der Pandemie bei Kindern

Zu den Teilnehmenden der Podiumsdiskussion gehörten auch die Kinder- und Jugendärztin Dr. Lieselotte Simon-Stolz (zweite von rechts) und Andreas Heinz, Leiter des Caritas-Zentrums Homburg (dritter von rechts). (Foto: Wolf)

Vereinsamung, Vernachlässigung, verzögerte Entwicklung – Experten klären über Folgen der Corona-Zeit auf

Welche Folgen die Pandemie für Kinder und Jugendliche hat, war Thema einer Podiumsdiskussion, zu der vor kurzem der Katholikenrat des Bistums Speyer gemeinsam mit der Volkshochschule Homburg eingeladen hatte. Der „Pilger“ sprach mit zwei Podiumsteilnehmern, Andreas Heinz, Leiter des Caritas-Zentrums Homburg, und Dr. Lieselotte Simon-Stolz, Kinder- und Jugendärztin sowie Kinderschutzmedizinerin, Homburg, über ihre Beobachtungen.

Wie erfahren Kinder und Jugendliche aus Ihrer Sicht die Pandemie?
Andreas Heinz: Die Pandemie müssen zwar alle mittragen, also auch die Jüngsten. Für sie sind die Auswirkungen aber besonders gravierend, da sie mitten in der Entwicklung stehen, ihre Resilienzen und ihren Platz im Leben erst noch suchen müssen.
Lieselotte Simon-Stolz: Ja, die Belastungen steigen, während gleichzeitig die Ressourcen und die Schutzfaktoren abnehmen.

Was waren die gravierendsten Belastungen?
Andreas Heinz: Es fing schon damit an, dass Eltern und Kinder während des Lockdowns zu Hause bleiben mussten, weil Kitas und Schulen geschlossen waren. Der begrenzte Platz erzeugt Stress. Am Ende waren viele Familien regelrecht ausgelaugt. Bei Migrantenkindern haben wir gemerkt, dass sie in ihrer Sprachentwicklung in Deutsch deutlich zurückgeworfen wurden. Gerade diese Kinder, aber auch etliche deutsche konnten am digitalen Schulunterricht nicht teilnehmen, sodass diese Zeit für manche schlichtweg Schulausfall bedeutete. Andere haben die Schule abgebrochen.

Lieselotte Simon-Stolz: Richtig. Die Kinder aus multipel belasteten Familien, die ohnehin unter Armut, Bildungsferne, sozialer Isolierung, unter psychischen oder Suchterkrankungen oder Fluchterfahrungen leiden, hat Corona am härtesten getroffen.

Wie sahen die Folgen aus?

Andreas Heinz: Die Kinder und Jugendlichen mussten auf ihre Peer-Groups verzichten. Sie konnten keinen Sport treiben oder sich wie üblich in der Freizeit mit anderen treffen. Das führte zunächst einmal zu Vereinzelung, Verlorenheit und Rückzug. Die Verluste wurden und werden immer noch mit vermehrtem Spielen am Computer, mit ständigem Unterwegssein in den sozialen Medien kompensiert. Generell hat die Frustrationstoleranz abgenommen, es wird schneller aggressiv reagiert.

Lieselotte Simon-Stolz: Auch Ängste und Depressionen nahmen zu. Da die aufsuchenden Hilfen und präventiven Angebote zum großen Teil wegfielen, fehlte die Unterstützung. Festgestellt haben wir, dass die motorische Entwicklung erheblich litt, weil sie nicht mehr gefördert wurde. Und die mangelnde Bewegung führte zu Übergewicht. Das Risiko, dass Kinder vernachlässigt oder Opfer von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt werden, ist ebenfalls gestiegen. So verzeichnete die Kinder- und Jugendhilfe-Statistik für 2020 bei der Feststellung einer Kindeswohlgefährdung eine Zunahme um neun Prozent. Dabei trat die Vernachlässigung am häufigsten auf, besonders angestiegen ist die psychische Misshandlung mit plus 17 Prozent.

Wie kann den jungen Menschen und ihren Familien geholfen werden?
Andreas Heinz: Die Kinder und Jugendlichen brauchen Geduld und Zuwendung. Das kostet Zeit. Deshalb müsste unsere Erziehungsberatungsstelle dringend um eine halbe Stelle aufgestockt werden. Es besteht ein riesiger Bedarf an Förderung und Unterstützung bei den Hausaufgaben und schulischen Leistungen. Wir müssen kleine Gruppen einrichten, Sonder- und Einzelförderung gewährleisten. Klar, die Kommunen haben finanzielle Engpässe. Umso wichtiger ist es, dass wir, die Caritas, gemeinsam mit den Kirchen dafür kämpfen, dass mehr Geld in die Kinder- und Jugendhilfe fließt. Ganz wichtig sind außerdem längere ambulante und stationäre Therapien. Wir haben viel zu lange Wartezeiten bei Jungen und Mädchen mit Belastungssymptomen. Hier sind die Krankenkassen in der Pflicht, die Versorgung auszubauen.

Lieselotte Simon-Stolz: Ergänzen möchte ich noch, dass wir vor allem die besonders belasteten Kinder und Jugendlichen frühzeitig identifizieren und unterstützen müssen. Hebammen und Ärzte werden als Vertrauenspersonen wahrgenommen, können auf Betroffene zugehen. Eine qualifizierte Kindertagesbetreuung ist ebenfalls unerlässlich. Bei Schuleingangsuntersuchungen, die unbedingt auch während Pandemiezeiten aufrechtzuerhalten sind, lassen sich sprachliche und motorische Entwicklungsrückstände feststellen.

Lassen Sie mich noch einen Blick auf die Eltern werfen. Treffen schwierige Lebensverhältnisse, belastete Eltern und anspruchsvolle Kinder aufeinander, verstärken sich bereits vor der Pandemie bestehende Nachteile. Umso wichtiger ist es, Familien in dieser Zeit vermehrt Beratung anzubieten. Da aber gerade diese Familien unsere Beratungs- und Unterstützungsangebote nur schwer erreichen, sind geeignete Zugangswege dringend erforderlich.

Sind die Kinder und Jugendlichen eigentlich die Opfer der Pandemie?
Lieselotte Simon-Stolz: Nein, so würde ich das nicht sagen. Allerdings ist mir aufgefallen, dass Babys und Kinder bis zum sechsten Lebensjahr am wenigsten beachtet wurden. Deswegen plädiere ich dafür, dass die Arbeit in den Sozialpädiatrischen Zentren und den Interdisziplinären Frühförderstellen stets gewährleistet bleibt.

Andreas Heinz: Es gibt aus meiner Sicht keine Generation Maske, wie der Titel eines Buches lautet. Wir dürfen die Jugend auch nicht dazu stigmatisieren. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Kinder mit ihren Eltern ganz viel bewältigt und eine Menge Verantwortung übernommen haben. Und ich sehe, dass wir zurzeit auf einem guten Weg sind, wenngleich wir noch lange nicht die Normalität erreicht haben. (Interview: Regina Wilhelm)

 

Artikel teilen:

Weitere Nachrichten

19.08.10
Redaktion der pilger

Termine im Bistum

Orgelfestwoche in Bad Dürkheim
19.08.10
Redaktion der pilger

Leben wir in einem Google-Land?

„Street View“ erhitzt die Gemüter
13.08.10
Redaktion der pilger

Termine im Bistum

Waldgottesdienst am Totenkopf am 15. August
13.08.10
Redaktion der pilger

Bund will bei humanitärer Hilfe kürzen

Einsparungen von 20 Prozent vorgesehen – Organisationen protestieren
13.08.10
Redaktion der pilger

Mit der „Caritas Credit Card“ Gutes tun

Erlös kommt benachteiligten Kindern und Jugendlichen zugute
13.08.10
Redaktion der pilger

Evangelium zum Hochfest Mariä Himmelfahrt (Lesejahr C)

Studiendirektor i.R. Dr. Raimund Bard schreibt den Beitrag zum Lukas-Evangelium 1,...
13.08.10
Redaktion der pilger

Große Risiken, aber sie wollen weiter bohren

Im Golf von Mexiko: Die größte Erdöl-Katastrophe wird schön geredet
13.08.10
Redaktion der pilger

Nicht zu Lasten der Benachteiligten

Kirchen mischen sich in die Debatte um den Umbau des Hartz-IV-Systems ein
05.08.10
Redaktion der pilger

Termine im Bistum

Unter der Überschrift „Der Heilige Geist – aus seiner Fülle empfangen wir“ stehen...
05.08.10
Redaktion der pilger

Kritik lässt die Kanzlerin an sich abperlen

Angela Merkel scheint immer gelassener zu werden, je krisenhafter die Schlagzeilen...
05.08.10
Redaktion der pilger

Junge Leute bringen „Steine zum Sprechen“

Eine junge Frau und zwei junge Männer aus drei Ländern führen Touristen bis zum 22....
05.08.10
Redaktion der pilger

Immer mehr Dörfer veröden

Gegen das Aussterben der Dorf-Kultur: Bürgerbus-Vereine und Kircheninitiativen...
05.08.10
Redaktion der pilger

„Altes Recht ist nicht gleich schlechtes Recht“

Ende Juli berichtete das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ von neuen Sparplänen...
05.08.10
Redaktion der pilger

Warten – auf was?

Wach und mutig in die Zukunft sehen. Ein Beitrag von Diakon Hartmut von Ehr zum...
31.07.10
Redaktion der pilger

Bischof Wiesemann: Geburtstagsfeier im kleinen Kreis

Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann wird am 1. August 50 Jahre alt. In einem...
28.07.10
Redaktion der pilger

Aufbau der Hauptorgel im Kaiserdom kann beginnen

Im Speyerer Dom laufen derzeit wesentliche Vorarbeiten für den Aufbau der neuen...
28.07.10
Redaktion der pilger

Typisch Sommer: Gottesdienste und Wallfahrten ins Grüne

Seit Ende Juni finden auf dem Annaberg bei Burrweiler Wallfahrten zur heiligen...
28.07.10
Redaktion der pilger

Kaum zu glauben: Eintritt zahlen für den Papstbesuch

Mitte September kommt Papst Benedikt nach Großbritannien. Wenn man den Medien...
28.07.10
Redaktion der pilger

Offenes Gespräch zwischen Bischöfen und Laien

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück (70),...
28.07.10
Redaktion der pilger

21060 Höhenmeter: Christoph Fuhrbach stellt Weltrekord...

Christoph Fuhrbach hat es geschafft: Der Referent für weltkirchliche Aufgaben im...
28.07.10
Redaktion der pilger

Was macht uns reich vor Gott?

"Liebe empfangen und Liebe geben" - lesen Sie hier einen Beitrag von...
21.07.10
Redaktion der pilger

Zellertaler Parkfest der Kolpingfamilie

Zellertal-Zell, 24. und 25. Juli: Die Kolpingfamilie Zell im Zellertal lädt am...
21.07.10
Redaktion der pilger

Südafrika: Droht wieder Fremdenhass?

Die Fußballweltmeisterschaft am Kap ist bereits einige Zeit abgepfiffen. Sie hat...
21.07.10
Redaktion der pilger

Gemeindepastoral: In St. Ingbert ist noch alles offen

Die Pfarrverbandsbesuche im Rahmen des Papiers „Gemeindepastoral 2015“ sind...
21.07.10
Redaktion der pilger

PID gefährdet Würde und Demokratie

Die Kritik am Urteil des Bundesgerichtshofes in Berlin zur...
21.07.10
Redaktion der pilger

Zentralrat der Juden vor 60 Jahren gegründet

Die katholischen Bischöfe haben den Zentralrat der Juden zu seinem 60. Gründungstag...
21.07.10
Redaktion der pilger

Zu Gott sprechen mit den Worten Jesu

Wer meint, schon beten zu können, lerne es von Jesus neu – ein Beitrag von Pfarrer...
15.07.10
Redaktion der pilger

Speyer: Rund 500 Paare feiern Ehejubiläum

Rund 500 Paare werden am Sonntag, 29. August, zur Feier ihrer Ehejubiläen im...
15.07.10
Redaktion der pilger

Das Eine bedingt das Andere

Zum Lukas-Evangelium 10, 38–42: Wofür musste die kleine Geschichte der Begegnung...
15.07.10
Redaktion der pilger

Kirchenaustritte: Zeichen einer epochalen Krise

Sanft schwappen die Wellen des Starnberger Sees ans Ufer des Tutzinger Schlosses....
15.07.10
Redaktion der pilger

Speyer: Bischof Wiesemann segnet Kirchboot

Am 3. Juli trafen sich zahlreiche Gäste zur feierlichen Kirchbootweihe des ersten...
15.07.10
Redaktion der pilger

Unruhe nach dem Sturm

Die innerkirchliche Großwetterlage bleibt unruhig – die vom Missbrauchsskandal...
15.07.10
Redaktion der pilger

Görlitzer Oberhirte Zdarsa wird in Augsburg Bischof

Es ist eine Personalie, die bei der Besetzung vakanter Bischofsstühle in...
05.07.10
Redaktion der pilger

Ausstellung: Jesu Leben in wertvollen Bildern

Die Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Speyer lädt zu einem...
05.07.10
Redaktion der pilger

Zum Sonntagsevangelium:Gott ist nahe an jedem Ort

Ein Beitrag von Pastoralreferentin Regina Mettlach zum Lukas-Evangelium Kapitel 10,...
05.07.10
Redaktion der pilger

Zum Sonntagsevangelium: Für wen gehst du?

Ein Beitrag von Theo Wingerter zum Text des Lukas-Evangeliums, Kapitel 10, 1-9.
05.07.10
Redaktion der pilger

Große Herausforderungen für den Präsidenten

So ungewöhnlich wie der Abgang des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler war,...
05.07.10
Redaktion der pilger

Kirche auf dem Stadtfest in LU

Der 13-jährige Arija ist im Fußball-WM-Fieber. Das Herz des jungen Albaners schlägt...
05.07.10
Redaktion der pilger

Vor der Sommerpause: Personalentscheidungen im Vatikan

Kurz vor der Sommerpause laufen im Vatikan die Arbeiten noch einmal auf Hochtouren....
30.06.10
Redaktion der pilger

Sterbehilfe-Urteil: Kein einhelliges Echo

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Stellenwert von Patientenverfügungen gestärkt....