Redaktion der pilger

Mittwoch, 08. Januar 2025

Die Last des Jahres

(Fotos: pa/agk-images, Katrin Kolkmeyer; Grafik: Gabriele von Hebel)

„Der du die Zeit in Händen hast“ – ein Neujahrslied, das Hoffnung macht

In einer Serie erzählen wir die Geschichten hinter beliebten Kirchenliedern. Heute: ein Lied, das eine Collage von vielen Bibelmotiven ist. „Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ Diese Worte schrieb Jochen Klepper am 11. Dezember 1942. In der gleichen Nacht nahm sich der 39-Jährige zusammen mit seiner Frau und seiner Stieftochter das Leben. Jochen Klepper hatte verzweifelt versucht, seine jüdische Frau und deren Tochter aus erster Ehe ins Ausland zu bringen und vor der Deportation und Ermordung zu bewahren. Dieser Kampf hatte Jahre gedauert. Die ständige Bedrohung der Familie durch die nationalsozialistische Rassenverfolgung stürzte den ohnehin zur Schwermut neigenden Theologen, Dichter und Journalisten in Verzweiflung und Depression. Die Nächte ohne Schlaf, voll Angst, Zweifel und auch Selbstvorwürfen kehren in seinen Liedern und Gedichten wieder.

Er wandelt alles in Segen
Aber mitten in der Not der Tage sieht Klepper immer auch das Licht. Er sieht Christus, der ebenfalls durch die Finsternis gegangen ist. Christus ist der letzte Halt und die einzige Hoffnung, die nicht trügt. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, heißt es in Kleppers  Adventslied  „Die Nacht ist vorgedrungen“. Und auch das Neujahrslied „Der du die Zeit in Händen hast“, das Jochen Klepper im Jahr 1937 geschrieben hat, spricht von dem Leid und der Angst, von der „Last dieses Jahres“, die der Herr der Zeit in Segen wandeln soll.
Man muss die Lebensgeschichte des Autors nicht kennen, um das Lied zu singen und zu schätzen. Wer sie aber kennt, wird davon nicht loskommen. Hier spricht jemand, der die Flüchtigkeit des Lebens selber erfahren hat. „Da alles, was der Mensch beginnt, vor seinen Augen noch zerrinnt ...“ Und: „Wer ist hier, der vor dir besteht? Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht ...“ Aber es gibt Gott, der die Zeit in Händen hat: „Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. Du aber bleibest, der du bist.“ Er wandelt am Ende alles in Segen. Das alles sind biblische Bilder, uralte Worte der Gottesrede – wieder einmal neu gesprochen im Ernstfall des Glaubens.

Klepper musste seinen Text, bevor er in der Neujahrsausgabe der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurde, der Reichs-Schrifttumskammer vorlegen. Diese äußerte sich so: „Dieses Gedicht ... ist eine lyrische Paraphrase über den 102. Psalm und vertritt eine Gesinnung, die absolut jüdisch genannt werden muss ... Das heutige Deutschland darf bestimmt ein Neujahrslied in einem anderen, positiveren Ton erwarten …“

Aber immerhin: Die Experten für nationalsozialistisches Schrifttum haben den Psalm 102 als Quelle erkannt und wussten sogar, dass die Psalmen jüdische Texte sind. Es sind jedoch noch eine Reihe anderer Stellen zitiert oder angedeutet: Psalm 90; Psalm 3; Römerbrief 3,19;
Hebräerbrief 13,8. Fast kann man sagen: Das Lied ist eine Collage von Bibelmotiven. Der Dichter kannte sich aus.

Die alten Worte neu sprechen – darin war Jochen Klepper ein Meister. Theologisch ist er für einen Autor des 20. Jahrhunderts sehr traditionell protestantisch, denn er steht ganz in der Linie der Theologie Luthers mit der Betonung von Sünde und Schuld und Gnade Gottes. Ähnlich wie Klepper haben auch Paul Gerhardt, Philipp Spitta und die anderen großen evangelischen Choraldichter geschrieben.  

Modern dagegen ist bei Klepper die Nüchternheit und Dichte, die Konzentration auf das Wesentliche. Modern ist auch seine Haltung. Hier reflektiert ein Mensch seine Existenz in der Zeit. Die Zeit, so die Aussage, ist kein beliebiger Fluss. Christus, die Mitte der Weltzeit, ist auch die Mitte der persönlichen Lebenszeit. Maß der Zeit ist das, was in der Zeit geschieht, genauer: was Gott in seiner Gnade schenkt und aufgibt.

Die Melodie ist klassisch und schlicht
Es gibt Liedtexte, die unlösbar mit ihrer eigenen Melodie verbunden sind. „Der du die Zeit in Händen hast“ gehört nicht dazu. Fünf verschiedene Vertonungen sind allein in den großen evangelischen und katholischen Gesangbüchern im Umlauf. Fast keine dieser Melodien will so richtig zum Text passen.
Völlig daneben ist der Alternativvorschlag im Gotteslob: das Lied zu singen auf die Melodie des Osterlieds „Dein Lob, Herr, ruft der Himmel aus“.
Aber 60 Jahre nach Kleppers Tod hat Gerhard Schnitter 2002 eine Version komponiert, die dem Gedicht in Stimmung und Stil gerecht wird. Die Melodie ist ebenso klassisch und schlicht wie der Text, sie verläuft weitgehend in ruhigen Tonschritten, sogar das Reimschema wird melodisch gut aufgenommen. Diese Vertonung wird sich sicher durchsetzen. ( Andreas Hüser)

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