Mittwoch, 08. Juni 2016
AfD nutzt Fußball als Plattform
Grenzen zu „völkischer Terminologie“ werden verwischt
Angeblich kennt sich Alexander Gauland mit Fußball ja gar nicht aus. Nach seinen jüngsten schlechten Erfahrungen mit angeblich unwissenden Boateng-Äußerungen hätte man erwarten können, dass er sich vorläufig vom Kicker-Terrain fern hält. Zumindest für die Dauer der Europameisterschaft sind so viele Fans unterwegs, da kann er nur verlieren.
Aber er hat es wieder getan. Diesmal ging es nicht um Jerome Boateng, sondern um den muslimischen deutschen Nationalspieler Mesut Özil und dessen Pilgerreise nach Mekka. „Ich darf Zweifel bei Menschen haben, die nun mal die Kaaba umrunden“, spielte er dieser Tage deutlich auf Özil an, ohne ihn direkt zu nennen. Er sät damit Zweifel an dessen Integration und indirekt auch an dessen Berechtigung, für die deutsche Nationalelf aufzulaufen. Wobei – einem Fußballer könne man sowas grad noch durchgehen lassen, meint er gönnerhaft. Bei einem Beamten sei das was anderes.
Assistiert wird Gauland in seiner Kritik an Özil von der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, die fast zeitgleich in ein ähnliches Horn stößt. Damit ist klar: Es mag sein, dass Gaulands Boateng-Entgleisung („Die Leute...wollen keinen Boateng als Nachbarn haben“) zunächst eher zufällig passierte. Aber die AfD hat rasch kapiert, dass gerade jetzt, im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Fußball-Europameisterschaft, ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erhalten ist, wenn man sich mit Kommentaren zu den deutschen Kickern in die Öffentlichkeit schiebt. Ohne die Özil-Passage hätte eine 20-minütige Gauland-Rede in Elsterwerda nie und nimmer die Aufmerksamkeit erhalten, die sie jetzt bekommen hat. Es funktioniert.
Die Taktik der AfD beim Spiel mit der Öffentlichkeit entlarvt sich dabei ein Mal mehr, aber so deutlich wie selten zuvor. Im Moment ist für die AfD eindeutig zu wenig los. Es gibt wenig, aus dem sie Honig saugen könnte für öffentliche Aufmerksamkeit. So zynisch das auch ist: Vor allem in der Flüchtlingsfrage ist deutlich weniger Unruhe, als die Partei braucht, um den Protest, von dem sie lebt, zu befeuern.
Zu solchen Zeiten braucht die AfD zweierlei: Sie braucht eine Plattform, auf der sie ihre Parolen möglichst öffentlichkeitswirksam verbreiten kann. Diese Plattform bietet in Moment nun mal die Europameisterschaft. Alles, was irgendwie mit Fußball zu tun hat, erhält Aufmerksamkeit. Also hängt sich die AfD dran. Und zum Zweiten macht man sich daran, die eigenen Positionen ein Stück weiter zu radikalisieren. Das bringt noch mehr Aufmerksamkeit. Und im Zweifel kann man das ja wieder zurücknehmen. Sorry – war nicht so gemeint. Im Fall von Jerome Boateng, einem geborenen Berliner, geht es ganz eindeutig um die Anspielung auf dessen vermutete ethnische Andersartigkeit auf Grund seiner Hautfarbe. Der Rassebegriff ist da nicht mehr weit und damit die Schwelle zur Rechtsradikalität überschritten.
Bei Mesut Özil geht es um die Abwertung und Diskriminierung der religiösen Zugehörigkeit. Damit entfernt sich die AfD meilenweit vom Boden des Grundgesetzes, das die Religionsfreiheit garantiert und die Diskriminierung wegen religiöser Zugehörigkeit ausschließt. Die AfD dreht das aber frech herum und erklärt den Islam als grundgesetzwidrig.
Und danach folgt der nächste Streich. Hat man mit Angriffen auf berühmte Kicker genügend Aufmerksamkeit hergestellt, dann nutzt man dieses Umfeld für harte Attacken unter anderem auf die Bundeskanzlerin, die als „Kanzler-Diktatorin“ bezeichnet wird. Verbunden mit dem hanebüchenen Vorwurf, es werde versucht, „das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbeigekommene Bevölkerung“. Und wieder ist damit die Schraube der Radikalisierung ein Stück weiter gedreht. Gelandet ist Herr Gauland damit im Bereich der völkischen Terminologie des rechtsradikalen Spektrums. Die AfD hat nicht das geringste Problem damit, die Grenzen zu diesem Bereich zu verwischen und gar zu überschreiten.
Aber es hat auch sein Gutes. Denn was hier gleichzeitig überschritten wird, ist die Grenze zu dem, was unter dem Motto tolerierbar ist, dass eine Protestpartei eben auf die Pauke hauen muss, um gehört zu werden und ihre Protestwähler bei der Stange zu halten. Diese Protestwähler müssen sich inzwischen sehr genau anschauen, wen und was sie da mit der AfD wählen. Es geht dabei nicht um die Beleidigung von Fußballspielern, die hier als unfreiwillige Aufmerksamkeitsverstärker für rechte Propaganda herhalten müssen. Die sind stark genug. Die können sich selbst helfen. Aber man muss sich klar machen, dass mit der Sprache der AfD Menschen aufeinander gehetzt und Religionen und Kulturen gegeneinander in Stellung gebracht werden, wie das bisher nicht denkbar war.
Wenn hier was ersetzt werden soll, dann ist das die freiheitlich-demokratische Ordnung unseres Grundgesetzes als die Basis des friedlichen Zusammenlebens in unserem Gemeinwesen. Das verträgt auch viel Protest. Wer aber will, dass dieses Gemeinwesen auch weiterhin die Basis für Protest bieten kann, der darf nicht zulassen, dass die AfD Gelegenheit bekommt, es mit ihren Parolen zu unterspülen. (Stefan Dreizehnter)