Mittwoch, 22. April 2015
Überraschende Ergebnisse
Vor falschen (Kurz-)Schlüssen sei gewarnt
Immer mehr Kirchengemeinden werden zusammengelegt, immer größere Einheiten der Pastoral werden geschaffen, immer mehr Stress und Zeitdruck entstehen. Doch die erste bundesweite Seelsorgestudie bietet ein überraschendes Ergebnis: Die Pfarreigröße oder äußere Belastungen haben keinen entscheidenden Einfluss auf die Zufriedenheit der Seelsorger. Die meisten sind sehr engagiert in ihrem Beruf und zufriedener damit als die deutsche Durchschnittsbevölkerung. Eine ganz andere Frage ist dagegen, ob ihnen das auch selbst bewusst ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt kommt hinzu: Ein Viertel der Priester würde sich nicht wieder für den Zölibat entscheiden, wenn sie die freie Wahl hätten; ein weiteres Viertel ist unentschieden. Viele Priester fühlen sich außerdem viel häufiger einsam und neigen mehr zu Depressionen als die Vertreter der anderen Seelsorgeberufe. Verzicht auf Sexualität, partnerschaftliche Bindung und eigene Kinder stellen für über die Hälfte von ihnen eine besondere Herausforderung dar.
Bemerkenswert sind auf jeden Fall die Offenheit und Ehrlichkeit, mit denen geantwortet und die Probleme angesprochen wurden. Wie bei so vielen Umfragen kommt es bei der vielschichtigen Seelsorgestudie allerdings ganz darauf an, wie man sie interpretiert und welchen Akzent man setzt. Vor falschen (Kurz-)Schlüssen sollte man sich hüten. Wer etwa bei den Bistums-Leitungen glaubt, er könne als Konsequenz aus dieser Studie die Seelsorgeeinheiten noch weiter vergrößern und den einzelnen Priestern, Pastoral- oder Gemeindereferenten noch mehr aufbürden, liegt völlig falsch. Im Gegenteil sollten dem „Bodenpersonal“ dringend mehr Freiräume und eine intensivere spirituelle Begleitung und Entfaltung gewährt werden.
Ob darüber hinaus der Pflicht-Zölibat für Priester aufgehoben werden kann und soll, darüber sollte auf weltkirchlicher Ebene noch einmal gründlich debattiert werden, selbst wenn manche in Rom das Thema nicht mehr hören können – oder wollen. Papst Franziskus ist der Richtige, um diese Frage ebenso ernst und differenziert wie vorurteilslos aufzugreifen. Ein Wundermittel, um sowohl den Anliegen der Seelsorger wie den Anliegen und Wünschen der „Schäfchen“, die oft ganz anders (oder sogar entgegengesetzt) gelagert sind, gerecht zu werden, aber gibt es offensichtlich nicht. (Gerd Felder)