Donnerstag, 09. Juni 2022
Ukrainekrieg verdrängt andere Themen
Europäische Klimapolitik muss neu durchdacht und mehr in den Fokus genommen werden
Wegen der alltäglichen Nachrichtenlage, die natürlich nach wie vor vom Krieg in der Ukraine beherrscht wird, geraten andere Entwicklungen zwangsläufig aus dem Fokus. Dazu gehört unter anderem die Klimapolitik. Hier wurde in der vergangenen Woche über das Klimapaket „Fit für 55“ der EU-Kommission abgestimmt.
Darüber gibt es jetzt ziemlich viel Streit. Exemplarisch für die Gründe der Auseinandersetzungen kann man den Plan nehmen, dass ab dem Jahr 2035 keine Verbrenner mehr bei PKWs und kleinen Lieferwagen zugelassen werden sollen. Neu sind dann nur noch E-Autos in diesen Fahrzeugklassen erlaubt – Bestandswagen dürfen jedoch weiter fahren. Neue Technologien allerdings, die weiter Verbrenner mit deutlich schadstoffärmeren, synthetische Kraftstoffen ermöglichen, geraten damit aufs Abstellgleis. Alles geht auf E-Mobilität.
Dass sich dagegen jetzt Lobbygruppen wehren, ist normal. Bemerkenswert ist allerdings, dass dieses Thema – wie andere auch – nicht unter einem ganz anderen Aspekt als nur wirtschaftliche Interessen diskutiert wird. Was ist mit den Aspekten Sicherheit und Unabhängigkeit?
Was auch immer im Klimapaket der EU drin steht – es stammt aus der Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Dieser andauernde Gewaltakt bedeutet auch das Ende aller klimapolitischen Pläne, die darauf setzten, mit billigem Gas als Brückentechnologie die Energiewende zu schaffen.
Schon dieser Plan war gefährlich eindimensional, wie wir inzwischen wissen. Eigentlich sollte man gelernt haben, zumindest neue Fragen zu stellen. Können wir es uns leisten, irgendeine Technologie auszuschließen? Können wir es uns leisten, nur noch auf ein Pferd zu setzen?
Muss man noch mal ganz neu denken? Nach wie vor gibt es den Plan, „alte Energie” ständig zu verteuern, damit die Menschen in „neue Energie“ investieren. Seit einigen Wochen erhalten wir den Vorgeschmack darauf, was das bedeutet, wenn sich Energie dramatisch verteuert. Im Klimapaket steht jedoch nichts über die massiven sozialen Fragen, die das aufwirft. Das ändert aber nichts daran, dass Antworten gefunden werden müssen. Und das schnell und dringend.
Diese Antworten brauchen wir auch bezüglich unserer Versorgungssicherheit. Was es heißt, von einem einzigen Lieferanten abhängig zu sein, haben wir jetzt erlebt und müssen es ändern. Schon alleine das müsste Grund genug sein, möglichst technologieoffen an künftige Energieträger heranzugehen. Wir brauchen davon mehr statt weniger, um nicht schon wieder in Abhängigkeiten zu geraten.
Sicher ist es schwierig, das mühsam ausgehandelte, tausende von Seiten umfassende Klimapaket der EU wieder aufzuschnüren. Aber jede Zeile, die da drin steht, ist vor dem Krieg in der Ukraine entstanden. Dieser Krieg bedeutet eine Zeitenwende. Die Klimapolitik ist davon nicht ausgenommen. Also muss man da noch mal ran, wenn sich die nationalen Gremien damit beschäftigen.(Stefan Dreizehnter)