Mittwoch, 29. Juni 2016
Zeitreise: Leben wie im Mittelalter
Nahe Meßkirch, zwischen Bodensee und Donautal, entsteht auf Grundlage des St.Galler Klosterplans eine Klosteranlage mit dem Namen „Campus Galli“. Alle, die an dem Bauvorhaben beteiligt sind, begeben sich auf eine Zeitreise ins 9. Jahrhundert.
Platz für die Ochsen!“ tönt ein Ruf hinter der nächsten Kurve, und da kommen sie auch schon auf uns zu: zwei – zumindest aus der Perspektive eines Stadtmenschen – riesige Tiere, die ein mit Stein beladenes Fuhrwerk ziehen. Gleich dahinter keuchen sechs Männer heran, die einen schweren Balken schleppen. „Ja, so war das eben im Mittelalter“, erklärt unser Führer, bevor Maschinen zum Einsatz kamen. Da wurde mit der Kraft von Mensch und Tier gearbeitet, und dafür nahm man sich entsprechend Zeit. An großen Bauvorhaben waren in der Regel mehrere Generationen beteiligt. Die wenigsten erwarteten das Endergebnis in ihrer deutlich kürzeren Lebensspanne als der unseren heute noch zu sehen. So haben die Initiatoren für „Campus Galli“ auch eine 40-jährige Bauzeit veranschlagt. Dass ihr Idealplan einer mittelalterlichen Klosteranlage mit Werkstätten, Ställen und allem, was für die Selbstversorgung nötig war, im 21. Jahrhundert nachgebaut wird, das hätten sich die Mönche, die im 9. Jahrhundert auf der Insel Reichenau lebten, sicher nicht träumen lassen.
Wir haben für unseren Rundgang durch das Waldgebiete in der Nähe von Meßkirch, wo der Campus Galli seit 2013 entsteht, ausgerechnet einen Regentag erwischt und damit eine zusätzliche Portion mittelalterliche Realität. Der Töpfer steht klatschnass in der Lehmgrube und gräbt verbissen vor sich hin, natürlich mit einem Holzspaten. „Wollen Sie es mal selber probieren?“ fragt der junge Mann grinsend und amüsiert sich noch mehr, als einer der männlichen Besucher versucht, den für die Erstellung der Töpferwaren notwendigen Lehm zu fördern. Das ist offensichtlich Schwerstarbeit! Mit Stroh und Sand vermischt, eignet er sich zum Verputzen von Wänden, wenn man ihn von groben Partikeln reinigt, entstehen daraus auf dem Töpferrad – es wird im Mittelalter noch von Hand gedreht – Töpfe und Trinkgefäße. „Ich bin Student“, erzählt der inzwischen total verdreckte junge Mann, dem Wind und Regen nicht viel auszumachen scheinen, „und schreibe eine Magisterarbeit über das 9. Jahrhundert. Hier, auf dem Campus Galli, habe ich die Möglichkeit, Mittelalter wirklich hautnah zu erleben“.
Hautnah – das ist das entscheidende Stichwort und erklärt etwas von der Faszination, die von diesem Projekt ausgeht. Neben rund 25 festangestellten Mitarbeitern bewerben sich immer mehr Freiwillige um eine ehrenamtliche Tätigkeit: Sie bearbeiten Holz, helfen in der Schmiede, flechten Körbe und Seile, verarbeiten Wolle, spalten Schindeln. Und sie verzichten zumindest für eine begrenzte Zeit auf die „Errungenschaften“ der modernen Zivilisation wie etwa das allgegenwärtige Handy. Wasser wird im Tonkrug gekühlt und aus dem Tonbecher getrunken, zu essen gibt es – übrigens auch für die Besucher – nur, was auch schon unsere Vorfahren im Mittelalter auf den Tisch bringen konnten. Am höchsten Punkt des Rundgangs liegt eine offene Küche, wo meist ein (hervorragender!) Linseneintopf auf dem Feuer steht, Fladenbrot gebacken oder eine deftige grobe Bratwurst serviert wird. Kartoffeln mag so mancher schmerzlich vermissen, aber die kamen eben erst viel später nach Europa, genauso wie der Kaffee. Stattdessen trinkt man heißen Würz-wein oder einen Minztee.
Lesen Sie den ausführlichen Artikel zu „Zeitreise: Leben wie im Mittelalter“ in der Ausgabe des Pilger-Magazins Juli 2016.