Mittwoch, 21. November 2012
Niedriglöhne und hohe Arbeitslosigkeit

Professor Bosbach wirft der Politik vor, die Bevölkerung mit Zahlen zu manipulieren, etwa beim Thema Demographiewandel. Foto: Jung
Professor Dr. Gerd Bosbach referierte über die Ursachen von Altersarmut
Die Themen demographischer Wandel und Altersarmut sind in aller Munde, sorgen für hitzige Debatten und Angst vor der Zukunft. Dementsprechend groß war die Resonanz auf die Einladung der Allianz gegen Altersarmut zum Vortrag „Die Zahlenlüge – die Wahrheit über Armut im Alter“ am 19. November im Edith-Stein-Haus in Kaiserslautern. Des Themas nahm sich Referent Dr. Gerd Bosbach, Professor für Statistik sowie Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz, an – mit ebenso interessanten wie entlarvenden Einblicken in die Materie.
Das Gespenst der Altersarmut geht um, immer neue erschreckende Zahlen schlagen Alarm. Grund genug, für den Katholikenrat im Bistum Speyer 2010 die Allianz gegen Altersarmut zu initiieren, der mittlerweile etliche kirchliche Verbände und Arbeitsstellen angehören. Die Ziele der Vereinigung definierte ihr Sprecher Hans Mathieu in seiner Eröffnungsrede mit deutlichen Worten. „Wir wollen das Problem der Altersarmut sichtbar machen, auch über die Grenzen des Bistums hinaus“, sagte er und verwies gleichzeitig auf politische Missstände, die es zu bekämpfen gelte. „Indem wir die vom Staat geschaffene Intransparenz für die Bevölkerung durchschaubar machen.“
Dieser Aspekt stand auch im Fokus von Gastredner Professor Dr. Gerd Bosbach. Lange Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter des Statischen Bundesamtes und der kassenärztlichen Bundesvereinigung, lässt sich der Ökonom in puncto Statistik nicht an der Nase herumführen. Doch genau das versucht die Politik seiner Meinung nach, wenn „sie uns mit Zahlen manipuliert wie beispielsweise beim Thema Demographiewandel. Dabei wird Altersarmut stets nur mit zwei Faktoren in Verbindung gebracht: mit der steigenden Zahl der Rentner, der zu wenig Nachwuchs entgegensteht.“
Für den Ökonom ein Zerrbild der Realität, das er entschlossen zurechtrückt. „Altersarmut ist kein demographisches Problem, sondern in erster Linie das Ergebnis von Niedriglöhnen und immer noch zu hoher Arbeitslosigkeit.“ Umstände, die dazu führten, dass es den Sozialkassen einerseits an Einnahmen fehle und andererseits der Sozialversorgung hohe Kosten beschere, so Bosbach. „Außerdem haben wir den demographischen Wandel schon längst“, sagte er mit Sicht aufs vergangene Jahrhundert. „Da hat sich die Lebenserwartung um 30 Jahre erhöht. Der Anteil von Kindern ist von 44 auf 21 Prozent gesunken und die Zahl der über 65-Jährigen um das Dreifache gestiegen. Dennoch ist das Sozialsystem nicht zusammengebrochen, im Gegenteil, der Lebensstandard hat sich kräftig verbessert.“
Anlass für den Statistik-Experten, langfristigen Zukunftsprognosen zu misstrauen. „Kein Mensch weiß heute, wie es in 30 oder 50 Jahren wirklich aussehen wird.“ Voraussagungen dieser Art, verbunden mit drohenden Horrorszenarien, sind für Bosbach unlautere Ablenkungsmanöver von der eigentlichen Problematik und nur dazu gedacht, fragwürdige Entscheidungen und Reformen zu rechtfertigen. Anstatt den Teufel an die Wand zu malen, sei die Politik gefordert, die junge Generation vernünftig auszubilden und die Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen, damit sie ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leisten können. „Denn wenn wir weiter eine so hohe Arbeitslosenquote haben, schaffen es auch mehr Kinder nicht, die Rente für die ältere Generation zu erwirtschaften. Und das können sie auch nur dann, wenn die Bildungspolitik stimmt.“
Zahlen lügen nicht – mit dieser Annahme räumte Bosbach gründlich auf. Indem er den Blick für die Lesart von Daten schärfte und die Zuhörer auf unterhaltsame Weise mit den Stolperfallen von Statistiken vertraut machte. Nach einer angeregten Diskussionsrunde rief der Sozialforscher in seinem Schlusswort nicht nur zu verstärkter Skepsis Zahlen gegenüber auf, sondern auch zum Schulterschluss der Generationen. (Redaktion)