Donnerstag, 15. Mai 2014
(D)ein Weg mit und zu Gott
Jesus bietet Halt und Orientierung für ein ganzes Leben – Gedanken zum Johannes-Evangelium 14, 1–12 von Pastoralreferentin Annette Schulze
Verwirrung, Haltlosigkeit, Orientierungslosigkeit – das sind Begriffe, die Erwachsene manchmal verwenden, wenn sie über Jugendliche reden. Der Ehrlichkeit halber müssen wir zugeben, dass diese Begriffe auch für viele erwachsene Menschen gelten. Sie sind „verwirrt“, weil sie ohne Arbeit dastehen, weil eine Beziehung in die Brüche geht, ein neuer Anfang sie verunsichert, weil eine Krankheit sie aus den Gleisen wirft oder der Tod eines lieben Menschen sie mit Fragen und Zweifeln konfrontiert. „Verwirrt“ – das Wort ist fast noch zu schwach für diese Situation, der sich viele Menschen jeden Tag neu ausgesetzt sehen. Im Krankenhaus erlebe ich mit, wie Menschen den Halt verlieren im Leben. Sie müssen sich neu orientieren, weil die Grundlage ihres Lebens zusammengebrochen ist.
Jesus bietet eine Lösung an, die ent-wirrt, die Halt und Orientierung bietet. Er sagt ganz einfach: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Aber ist es so einfach, ihn als den Weg anzunehmen? Wie geht das denn? Wie soll ich meinen Weg gehen und Jesus als „den Weg“ verstehen? In der Mitte des heutigen Evangeliums steht die Bitte des Philippus, die auch unsere Sehnsucht formuliert: „Zeige uns den Vater, das genügt uns“. Mehr wollen wir gar nicht: „nur“ Gott erkennen, Gott sehen, wie er ist, Gott nahe sein, unser Leben auf ihn ausrichten können. Einmal möchten wir da ankommen, wo Jesus uns eine Wohnung bereitet hat. Und wieder stellt sich die Frage: Wie finde ich den Weg dorthin?
Auch wenn Jesus voraussetzt, dass die Jünger den Weg kennen, macht Thomas deutlich, dass sie keine Ahnung haben, wohin er geht und wie sie den Weg dorthin finden. Die Antwort Jesu ist feierlich: Ich bin der Weg. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Wir fragen weiter: Bedeutet das, dass es nur einen Weg gibt? Heißt das, dass alle, die nicht an Jesus als den Weg glauben, in der Haltlosigkeit und Verwirrung verloren sind?
Gott als Schöpfer des Lebens ist lebendig in jedem einzelnen seiner Geschöpfe. Jeder Mensch, in dem Gott lebendig ist, ist auf Gottes Weg, ist Gottes Weg, ist der Weg, auf dem Gott seine Schritte setzt und seine Wunder wirkt. Wenn Jesus sagt: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“, spricht er die Einheit zwischen ihm und dem Vater. Da sind nicht zwei, sondern eins – Gott ist in ihm, und er ist in Gott. Diese Nähe, diese Einheit schließt uns mit ein: wer uns ansieht, sieht Gott, denn Gott lebt in uns. „Wer einen Menschen („ein Kind“) sieht, begegnet Gott auf frischer Tat“, formuliert Martin Buber. Ganz sicher ist es nicht leicht, danach zu leben, denn dann muss ich mir bewusst machen, dass ich in meiner nervigen Kollegin und in dem unverschämten Autofahrer an der Kreuzung Gott begegne.
Peter Ustinov hat einmal gesagt: „Die Bibel sagt, du sollst deinen Nächsten lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt!“ Trotzdem geht es darum, einander mit Achtung zu begegnen. Es wird uns nicht immer gelingen, die Anderen zu lieben, aber wir dürfen immer wieder miteinander von vorne beginnen, erste Gehversuche zu machen – auf dem Weg, den wir gemeinsam gehen und von dem Jesus sagt, dass er selbst dieser Weg ist.
Die Schritte auf dem Weg sind vielleicht nur klein und unbedeutend, aber sie gehören zu den Werken, die wir im Glauben vollbringen können. Ein Schritt ist, dass wir uns nicht verwirren lassen durch die Geräusche und den Lärm unseres Alltags, durch die Begegnungen und Enttäuschungen unseres Lebens, durch die Ängste und Fragen unserer Zeit. Ein Schritt, dass wir den Menschen uns gegenüber zuhören, für sie offen sind. Ein Schritt auf dem Weg ist, dass wir miteinander teilen, was wir haben: unsere Fähigkeiten, unsere Zeit und unsere Erfahrungen...
Wenn wir unser Leben als Weg begreifen, zu dem Berg und Tal, Wald und Feld, Strand und Meer gehören, wird uns deutlich, dass Höhen und Tiefen ihren Sinn haben. Wenn wir nach einem Wegweiser suchen, können wir erfahren, dass Gott uns in menschlichen Gesichtern nahe kommt. Wenn wir uns auf den Weg einlassen, den Gott mit uns geht, in guten und schweren Tagen, entdecken wir das Leben, das über sich hinausweist. Weg und Ziel werden eins. Der Schritt, den wir heute auf unserem Weg gehen, ist der einzig entscheidende, weil wir mit ihm unsere Entscheidung neu treffen – für den Weg, für die Wahrheit, für das Leben.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen die Knoten auf Ihrem Weg nicht nur das Leben schwermachen, sondern Sie näher zu dem führen, der unser Weg ist, unsere Wahrheit und unser Leben!