Redaktion der pilger

Mittwoch, 13. Oktober 2021

„Bei euch aber soll es nicht so sein!

Die Kirche findet sich auch heute im Spannungsfeld zwischen Macht und Dienst. (Foto: Alessia Giuliani/Catholic Press Photo/imago)

Mit Jesus der Logik der Macht widerstehen

Im Sonntagsevangelium geht es dieses Mal ganz menschlich zu. Ganz unverblümt wird Jesus von Jakobus und Johannes gefragt: „Wenn du einst in all deiner Pracht wiederkommst, dürfen wir dann direkt neben dir sitzen, um mit dir zu herrschen?“ In seiner Antwort auf dieses unwürdige Postengeschachere vergleicht Jesus das Karrierestreben der beiden Zebedäus-Söhne mit der willkürlichen Machtausübung der weltlichen Herrscher ihrer Zeit: Denen es nur um sich und ihren Machterhalt geht. Die ihre Ellbogen gebrauchen, um auf dem Weg nach oben ihre Gegner aus dem Weg zu räumen. Und die, wenn sie einmal oben angelangt sind, alles dafür tun, um ja nicht wieder vom Thron gestürzt zu werden. So, schreibt Jesus seinen Jüngern ins Stammbuch, soll es bei euch nicht sein!

Wie aber dann? Jesus verweist auf sein Leben: So wie ich gekommen bin, um zu dienen … so wie ich ganz für andere da bin, damit sie das Leben in Fülle haben … so, wie ich alles hingegeben habe: meine göttliche Macht und am Ende sogar mein Leben … so soll es auch bei euch sein. Denkt nicht zuerst an euch, sondern stellt euch in den Dienst für eine bessere Welt. Seid nicht vor allem auf euren eigenen Vorteil bedacht, sondern auf das Wohl aller.

„Bei euch soll es nicht so sein!“ Beim Nachdenken über diesen oft zitierten Satz der Bibel bleibe ich hängen an dem tiefen Gegensatz, den Jesus hier aufmacht: zwischen einer Welt, die von Egoismus und Machtstreben gekennzeichnet ist, und dem Ideal einer christlichen Gemeinde, deren Mitgliedern man schon von weitem ansieht, wie sehr sie einander lieben (so Tertullian um das Jahr 200). Und ich frage mich: Ist die Welt wirklich so böse, die Jüngergemeinschaft Jesu dafür wirklich so gut, wie Jesus sie einander gegenüberstellt?

Nicht wirklich! Denn schon der vom Geist der Aufklärung geprägte Preußenkönig Friedrich der Große hat sich vor fast 300 Jahren als „Erster Diener des Staates“ bezeichnet. Von ihm heißt es, dass er bewusst in schäbigen Uniformen aufgetreten ist und sich – ganz anders als seine Vorgänger – sehr um Wohlstand und Bildung seiner Untertanen gekümmert hat. Ähnlich Angela Merkel, die bei ihrem ersten Kampf um das Bundeskanzleramt 2005 mit dem Bekenntnis angetreten ist: „Ich will Deutschland dienen.“ Freilich: Auch als „Erster Diener des Staates“ ist der „Alte Fritz“ ein absolutistischer Herrscher geblieben. Und auch Angela Merkel wäre im harten Politikgeschäft mit demütiger Selbstrücknahme und purem Altruismus sicher nicht 16 Jahre Kanzlerin geblieben. Dennoch zeigen beide einen fundamentalen Politikwandel in der Neuzeit an: Die Zeit willkürlicher Alleinherrscher ist in den meisten Ländern vorbei. Der Großteil der Menschheit lebt heute in politischen Systemen, in denen Macht geteilt und kontrolliert wird sowie Freiheit und Gerechtigkeit herrschen.

Die Welt ist also nicht mehr so böse, wie wir es gerne hätten, um auf ihrem dunklen Hintergrund umso heller zu leuchten. Umgekehrt sind wir Christen nach wie vor nicht so, wie Jesus uns haben will. Allzu oft in den vergangenen 2 000 Jahren sind wir der Versuchung der Zebedäus-Söhne erlegen. Ebenso ist die Kirche als Ganze bei der Ausbildung kirchlicher Strukturen immer wieder mehr der „weltlichen“ Logik der Macht als dem Vorbild des dienenden Jesus gefolgt. Ein kurzer Blick in die MHG-Studie und in die Debatten des Synodalen Weges reicht, um zu erkennen, wie missbräuchlich in der Kirche Macht ausgeübt wurde und zum Teil immer noch wird. Wie einseitig Entscheidungsgewalt verteilt ist, und wie wenig echte Partizipation und Kontrollmechanismen es gibt. Wie oft Macht als Instrument der Gängelung und Disziplinierung von Gläubigen gebraucht worden ist, etwa im Bereich der kirchlichen Sexualmoral. Vor allem aber, welch grausame Gewalt Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen im Raum der Kirche angetan worden ist und immer noch angetan wird.

Warum ist das so? Warum lassen wir Christen und Christinnen innen uns – in unserem persönlichen Verhalten wie auch in unseren kirchlichen Strukturen – auch nach 2 000 Jahren allzu leicht vom verführerischen Hauch der Macht leiten? Ich meine, es hat viel mit Angst zu tun: Der Angst des/der Einzelnen, zu kurz zu kommen. Der Angst der Verantwortungsträger, an Autorität einzubüßen. Der Angst der Institution, dass ihr sonst die Mitglieder davonlaufen könnten.

Jesus verkörpert in seinem Leben genau das Gegenteil. Weil er seinen Selbstwert nicht von seiner Macht und seinem Ansehen abhängig macht, sondern weil er darum weiß, dass er in Gottes Augen unabhängig davon unendlich wertvoll ist. Weil er seine Vollmacht nicht zum eigenen Vorteil gebraucht, sondern ganz dem Aufbau des Reiches Gottes und dem Dienst an den Armen und Schwachen widmet. Weil für ihn die größte Macht die Ohnmacht des Kreuzes ist, die sich ganz für den anderen verschwendende Liebe. Deshalb kann er angstvoll und befreit leben. Ein Vorbild für jede/n Einzelne/n von uns und für die Kirche zugleich! (Thomas Stubenrauch)

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