Mittwoch, 09. Dezember 2020
Befreiung zum Leben
Die Frohbotschaft wird Wirklichkeit, wenn wir sie tun
Eine selbstbewusste prophetische Stimme aus dem Buch Jesaja hören wir in der ersten Lesung: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir. Denn der Herr hat mich gesalbt“. Dieser Gesalbte ist ein von Gott in Auftrag genommener, ein „berufener Rufer“, er hat eine Sendung, eine Nachricht auszurichten. Und was er zu sagen hat, hat es in sich: Es ist Frohe Botschaft.
Sie richtet sich an das Volk Israel, an seine Armen, Geschundenen, die im Herzen Zerbrochenen, die Trauernden und die Gefangenen. Und ihnen wird Heilung und Trost, Hoffnung und Mut, Befreiung und Freude verheißen. Sie werden eine Zukunft haben, ihnen wird Recht und Gerechtigkeit widerfahren. Der historische Hintergrund ist das Ende der Babylonischen Gefangenschaft im 6. Jahrhundert v. Chr. und die Rückkehr von Teilen des jüdischen Volkes ins Gelobte Land und nach Jerusalem. Der Prophet spricht in der Zeit nach der Einweihung des wiedererrichteten Tempels 515 v. Chr. Er verheißt Jerusalem eine strahlende Zukunft.
Die Gegenwart aber ist nicht geprägt von Jubel, sondern eher Depression. Die wirtschaftliche und soziale Lage ist prekär, Armut und Ungerechtigkeit drückend. Gott aber liebt das Recht und hasst das Unrecht, verkündet der Prophet. Er steht in Treue zu seinem Volk und schließt neu seinen „ewigen Bund“ mit ihm (Jesaja 61, 8). „Dann bauen sie die uralten Trümmerstätten wieder auf und richten die Ruinen der Vorfahren wieder her. Die verödeten Städte erbauen sie neu, die Ruinen vergangener Generationen“ (Jesaja 61, 4). Wirtschaftlich wird es aufwärts gehen und Wohlstand einziehen. „Ihre Nachkommen werden unter den Nationen bekannt sein und ihre Sprösslinge inmitten der Völker. Jeder, der sie sieht, wird sie erkennen: Das sind die Nachkommen, die der Herr gesegnet hat“ (Jesaja 61, 9).
Es ist eine Botschaft, die Mut macht zum Leben, die das Leben mehren, nicht mindern will, ein Leben, das mit einer ungebrochenen Freude verbunden ist. Überhaupt ist Freude das Kennzeichen des Lebens, das aus Gott kommt. Sein „ewiger Bund“ garantiert dies. Deshalb der Jubel am Ende, der sich an Gott richtet, denn „er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit“. Hier begegnet uns das Bild der Hochzeit, Gott und sein Volk sind in Liebe miteinander verbunden wie Bräutigam und Braut. Dieser Liebesbund bringt neues Leben hervor und Gerechtigkeit unter den Menschen.
Das Johannes-Evangelium berichtet vom Auftreten eines anderen Propheten: Johannes. Auch er ist ein „berufener Rufer“, einer wie Jesaja. „Ich bin nicht der Messias!“ sagt er. „Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!“ (Jesaja 40, 3). Seine Aufgabe ist die eines Zeugen, er zeigt auf den, der nach ihm kommt: Jesus. Er hat ihn getauft. Er hat gesehen, wie der Geist Gottes auf ihn herabkommt und auf ihm bleibt: „Dieser ist der Sohn Gottes“ (Johannes 1, 34).
Später liest Jesus die Worte des Jesaja in der Synagoge von Nazaret: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lukas 4, 18f). Jesus bezieht diese Stelle auf sich: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lukas 4, 22). Er ist der von Gott Gesalbte, der Messias, von dem Jesaja spricht.
Die Botschaft hat eine spirituelle und politische Dimension. Sie spricht mir selbst Heilung, Trost und Bewahrung zu, aber auch der Gemeinschaft, der Gesellschaft eine Zukunft und Hoffnung. Ist das nicht Utopie, die nie Wirklichkeit wird? Arme, Geschundene, in ihrer Seele Zerbrochene, Gefangene und Verlorene gibt es auch heute, viel zu viele. Und die Bedrohungen der Menschenwürde und Menschenrechte in der Welt, von Freiheit und Wahrheit durch Pandemie, politische Lügen und Machtzynismus mehren sich. Durch das Coronavirus ist besonders die Menschlichkeit betroffen. Wir müssen einschränken, was uns zu Menschen macht: die Begegnung mit Menschen. Wir brauchen den achtsamen und liebevollen Blick des anderen, seine Umarmung, seine aufrichtende Hilfe.
Jesaja und Jesus sind aktueller denn je. Die Gerichtsrede (Matthäus 25, 31-46) zeigt uns: Die Botschaft wird Wirklichkeit – wenn wir sie tun! Denn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25, 40). Gott will in jedem von uns mit seinem Geist ankommen, in jedem von uns und durch uns Mensch werden. Wir sind heute die Propheten, die „berufenen Rufer“, auf diese Aufgabe werden wir in der Taufe gesalbt. Wir sind die Gesalbten, „um den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselten Befreiung.“ Wenn wir dies tun, dann geschieht das Wunder von – Weihnachten.