Mittwoch, 27. Oktober 2021
„Wir fühlen uns ohnmächtig“

Die deutschen Bischöfe stehen wegen ihres Verfahrens zur Anerkennung von Entschädigungsleistungen für Missbrauchsopfer in der Kritik. (Foto: kna)
Betroffenenbeirat des Bistums fordert, Verfahren zur Zahlung von Leistungen an Missbrauchsopfer neu zu regeln
Die Kritik an der im Januar 2021 von der Deutschen Bischofskonferenz eingerichteten Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) reißt nicht ab. Nach dem scheidenden Missbrauchsbeauftragten des Bistums Speyer, Ansgar Schreiner, und der Diözese Speyer, die die schnellere Bearbeitung der Anträge und eine bessere Kommunikation mit den Betroffenen bemängeln (wir berichteten), meldet sich nun auch der Betroffenenbeirat des Bistums zu Wort.
Das neunköpfige Gremium fordert, das Verfahren ganz neu zu regeln. „Eine Kommission, die über die Anträge entscheidet, muss völlig losgelöst von der Bischofskonferenz agieren und bei der Politik angesiedelt sein. Nur so ist eine transparente und unabhängige Arbeit möglich“, betont der Sprecher des Beirats, Bernd Held, gegenüber dem „pilger“. „Denn die Kirche kann ihre eigenen Verbrechen nicht aufarbeiten. Das sehen wir seit mehr als zehn Jahren.“ Die UKA bestehe aus vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz benannten Juristen, Medizinern und Psychologen, die über die Höhe der Zahlungen an kirchliche Missbrauchsopfer entscheide. Vertreter der Betroffenen seien nicht darunter – für den Betroffenenbeirat des Bistums ein Unding. „Die Mitglieder der UKA mögen alle Experten auf ihrem Gebiet sein, aber es fehlt ihnen etwas Entscheidendes: den Erfahrungshorizont eines Menschen, der Missbrauch erlebt hat mit all seinen Folgen“, bekräftigt Bernd Held.
Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, weist die Vorwürfe zurück. „Durch die ,Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland‘ mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) aus dem Jahr 2020 sind wir in engem Austausch mit dem Staat“, so Kopp.
Mangelnde Transparenz
Was die Arbeit der UKA betrifft, so bemängelt der Betroffenenbeirat die fehlende Nachvollziehbarkeit bei der Festlegung der Beträge für die Opfer. Was feststeht ist der Leistungsrahmen, den die deutschen Bischöfe im November 2020 verabschiedet hatten. Dieser orientiert sich an Urteilen staatlicher Gerichte zu Schmerzensgeldern, so dass Entschädigungszahlungen von bis zu 50 000 Euro vorgesehen sind.
Bernd Held berichtet von einem Mann, der 200 Mal vergewaltigt wurde und von der UKA 15 000 Euro erhielt. „Da stelle ich mir die Frage, was denn passieren muss, dass einem Betroffenen 50 000 Euro zugesprochen werden.“ Matthias Kopp verweist im Hinblick auf die Kriterien, nach denen die Anträge auf Entschädigungsleistungen von der UKA bearbeitet werden, auf die Verfahrensordnung zur Anerkennung des Leids des Ständigen Rats der Deutschen Bischofskonferenz. Sie enthält 14 Punkte, an denen sich die Höhe der Zahlung orientiert wie die Häufigkeit des Missbrauchs, die Anzahl der Täter oder die Art der Tat.
Bernd Held und seine Mitstreiter fordern, den im September 2019 in einem Empfehlungspapier enthaltenen Vorschlag einer von der DBK eingesetzten unabhängigen Arbeitsgruppe für die „Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids“ umzusetzen. Danach würden Opfer von sexuellem Missbrauch entweder pauschal 300 000 Euro oder nach einer Einzelfallprüfung zwischen 40 000 und 400 000 Euro, in Härtefällen auch mehr, erhalten.
Im Alter von etwa 13 bis 14 Jahren wurde Bernd Held als Internatsschüler am Johanneum in Homburg von zwei Patres mehrfach sexuell missbraucht. Vom Träger der Schule, dem Orden der Herz-Jesu-Missionare (Hiltruper Missionare), erhielt er bislang auf unbürokratischem Weg 5 000 Euro. Doch damit ist für den verheirateten Vater einer Tochter die Sache nicht erledigt. Er verlangt eine angemessene Entschädigungsleistung. Einen Antrag hat er bislang nicht gestellt, obwohl sich die Deutsche Ordensobernkonferenz der Verfahrensordnung der Deutschen Bischofskonferenz zur Anerkennung des Leids angeschlossen hat und somit auch Zahlungen in Höhe von bis zu 50 000 Euro leistet. Die Begründung für seine Zurückhaltung liegt auf der Hand: „Weil ich das Verfahren nicht gut heiße.“ Schon alleine der Antrag sei neun Seiten lang. Darüber hinaus „weiß ich gar nicht, durch welche Hände das Papier geht“. Und was für ihn besonders schwer wiegt: Es gibt keine Möglichkeit, von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen gehört zu werden. Das sehe der gesamte Prozess zu keinem Zeitpunkt vor, da die Anträge über die Bistümer oder Orden gestellt würden, die diese an die UKA weiterleiten. Auch sei es nicht möglich, Widerspruch einzulegen, da es sich bei den Zahlungen juristisch betrachtet um freiwillige Leistungen handle.
Fehlende Legitimation
Ein weiteres Gremium, das bei Bernd Held und seinen acht Mitstreitern im Bistum Kritik hervorruft, ist der zwölfköpfige Betroffenenbeirat, den die Deutsche Bischofskonferenz eingesetzt hat. Er soll unter anderem zur Weiterentwicklung des Umgangs mit Fragen sexualisierter Gewalt im Verantwortungsbereich der DBK beitragen und sich für die Belange Betroffener einsetzen. „In unseren Augen ist das ein geheimer Zirkel. Denn wir wissen nicht, wer die Mitglieder sind, noch was sie tun“, beklagt Bernd Held. „Es gibt keine offizielle Namensliste.“ Gleichzeitig stellt er die Frage nach der Unabhängigkeit und der Legitimation des Beirats.
„Nach unseren Vorstellungen müssten in einem solchen Gremium Vertreter der Betroffenenbeiräte der Bistümer sitzen“, stellt der 55-Jährige klar. „Das sehen auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Diözesen so.“ Dadurch wäre auch eine Vernetzung der diözesanen Beiräte gewährleistet.
„Das ganze Verfahren der deutschen Bischöfe ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen“, bringt es der Saarländer auf den Punkt. „Wir fühlen uns wieder genauso ohnmächtig wie in unserer Kindheit, als uns das Leid angetan wurde. Denn es wird erneut über unsere Köpfe hinweg entschieden.“ Matthias Kopp kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Denn das Verfahren ist ja mit Betroffenen und weiteren Experten erarbeitet worden. Das haben wir stets transparent kommuniziert.“
Bischöfe wollen Verfahren prüfen
So wundert es nicht, dass die deutschen Bischöfe daran festhalten wollen. Das hatte der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing, zum Abschluss der Herbstvollversammlung am 23. September erklärt. Allerdings kündigte er eine Überprüfung an. Mitte Oktober fand ein Gespräch zwischen Vertretern des Betroffenenbeirats der DBK, der Unabhängigen Anerkennungskommission, der Deutschen Ordensobernkonferenz und der Bischofskonferenz statt. Dabei sollten die Kritikpunkte noch einmal diskutiert und mögliche Maßnahmen besprochen werden. Zum Inhalt des Gesprächs macht der Pressesprecher der DBK keine Angaben. Ein weiteres Treffen soll folgen.
Der Betroffenenbeirat der DBK hat zudem in einem offenen Brief an die Bischöfe und Generalvikare in den Bistümern verschiedene Punkte aufgelistet, die seiner Meinung nach überprüft werden müssten. Darin kritisiert der Beirat ebenfalls das aktuelle System als zu zeitaufwändig und zu lange für die Betroffenen, die nicht nachvollziehbare Festlegung der Entschädigungszahlungen sowie die fehlende Einheitlichkeit des Verfahrens von Bistümern und Orden.(pede)