Dienstag, 02. November 2021
Anders abgeben

Schenken nicht aus dem Überfluss, sondern das knappe Gut mit anderen teilen – darum geht es im Evangelium. Und auch darum, was Teilen und Schenken bewirkt. (Foto: Nik_Merkulov/AdobeStock)
Nicht vom Überfluss, sondern vom Notwendigen
Mein Handy klingelt und es meldet sich Antonia. Sie stehe jetzt vor dem Dom in Speyer. Sie erzählt, dass sie als Studentin durch Europa reist und betet. Und jetzt brauche sie ein Bett für die Nacht. Letzte Nacht hätte sie in einer Katholischen Hochschulgemeinde übernachtet, in Speyer gäbe es das doch auch. Geld habe sie keines, der Vater im Himmel versorge sie. Ich finde das ganz schön mutig und bin beeindruckt von Antonias Vertrauen.
Es erinnert mich an das Märchen von Sterntaler. Schlimm genug, dass das Mädchen arm ist. Leider ist es außerdem noch ziemlich blöd. Warum sonst sollte jemand in einer kalten Nacht sämtliche Klamotten verschenken? Verrückterweise bekommt Sterntaler dafür eine Belohnung. Sie ist völlig pleite und steht nachts im Hemd draußen. Und da fallen die Sterne vom Himmel. Lauter Goldtaler.
Und jetzt das vorliegende Evangelium: Es geht um eine Witwe, die in den Vorhof der Frauen am Jerusalemer Tempel geht. Sie ist arm. Rente bekommt sie keine, deshalb bleibt ihr nur das Betteln. Die Frau geht zum Opferkasten. Da stehen Priester, die aufschreiben, wie viel die Leute spenden. Große Summen werden laut in die Menge gerufen. Wenn es richtig viel ist, gibt es einen Tusch auf der Posaune. Die Witwe wirft ihr Geld ein: Zwei Lepta. Peanuts. Kein Ruf, kein Tusch.
Jesus und seine Freunde sind zeitgleich im Tempel. Die Freunde staunen über die Größe und Schönheit des heiligen Hauses. Das kostet eine Menge Geld. Kein Wunder, dass hier Opferstöcke stehen, die Priester brauchen das Geld der Spender.
Die Freunde wollen in den nächsten Hof gehen und drehen sich um: Wo bleibt Jesus? Er sitzt bei den Opferstöcken und schaut sich an, was die Leute spenden. Und dann hört man Jesus: Seht euch das an! Die Witwe. Zwei Lepta. Wow, mehr als alle anderen gegeben haben! Die Freunde zweifeln: Hier sind doch viel größere Summen über den Tisch gegangen. Leute, sagt Jesus, die Frau hat alles gegeben, was sie hatte. Die Wahnsinnsspenden haben den Reichen nicht wehgetan. Aber die Frau ist arm. Und sie hat in ihrer Armut alles gegeben. Wenn überhaupt hat die Witwe den Tusch verdient.
Und jetzt? Ich könnte ausholen und über Spenden nachdenken: Nehmt euch die arme Witwe zum Vorbild, wo bleibt Euer Geld? Aber im vorliegenden Evangelium geht es für mich um viel mehr. Es geht um Hingabe, um Vertrauen und um das Glück des Schenkens.
Die Witwe gibt von ihrer Armut. Darum ist sie ein Vorbild, sagt Jesus. Die Witwe zeigt, wie Geben sein kann. Nämlich so, dass Geben nicht nur Gabe ist, sondern Hingabe. Normalerweise geben wir so: Wir überlegen, was wir übrig haben und davon geben wir anderen etwas ab: Zeit, Liebe, Geld, Aufmerksamkeit. Wir geben vom Überfluss. Wovon auch sonst? Wie sollen wir denn von unserer Armut geben? Wer arm ist, kann doch nicht geben, sondern muss aufpassen, dass er nicht zu kurz kommt. Manchmal merken wir unsere Armut: Die, die mit Geld oder anderem zu tun hat: Mit zu wenig Sinn, Liebe, Hoffnung, Kraft. Wir denken: Wir brauchen etwas. Etwas, das uns über Wasser hält, damit wir uns besser fühlen. Wir halten fest. Wie sollen wir von unserer Armut geben? Vielleicht, wenn wir aufhören mit dem Festhalten. Wenn wir loslassen, was wir festhalten. Und vielleicht sogar etwas geben, das gut für andere ist.
Manche von uns üben das in der Fastenzeit und merken: Ich brauche nicht immer Fernsehen. In der Zeit, die ich plötzlich übrig habe, kann ich anderes tun. Ich brauche gar nicht ständig Schokolade, ich kann auf manchen Strecken gut auf mein Auto verzichten. Ich lasse ganz bewusst etwas los, das ich sonst festhalte. Wenn ich das tue, mache ich eine aufregende Entdeckung: Ich komme gar nicht zu kurz, gerate gar nicht in Not, bin gar nicht so arm. Das Loslassen und Geben macht mich reicher: Ich merke mehr Sinn, bin zufriedener und bekomme neuen Schwung, lebe mit mehr Leidenschaft. Wer etwas loslässt und Gutes gibt, der merkt: Ich bin ja viel mehr als das, was ich habe und ich bin ja viel mehr als das, was ich nicht habe.
Geben aus Überfluss verändert uns nicht. Geben aus der Armut schon. Geben, bei dem wir etwas loslassen müssen, verändert uns. Weil Geben dann etwas mit uns selbst zu tun hat, weil wir etwas von uns geben. Das ist Hingabe und macht glücklich.
Das größte Geschenk wird Jesus kurze Zeit nach der Begegnung mit der Witwe allen Menschen machen: Er wird sein Leben schenken. Als Jesus am Kreuz stirbt, gibt er sich selbst hin. Er tut das, damit niemand in Angst und Tod alleine bleibt, niemand mehr vergeblich nach Gott sucht, da wo das Leben am dunkelsten ist. Jesus gibt sein Leben und besiegt den Tod. Und macht damit uns alle glücklich.
Nehmen wir uns die Zeit, Hingabe zu üben, wie die Witwe das getan hat, Vertrauen zu wagen, wie Antonia das tut und zum leichtsinnig Schenken wie Sterntaler. Wahrscheinlich werden wir dabei nicht im Hemd draußen stehen und Sterne einsammeln, aber vielleicht hören wir in uns einen Tusch. Jesus hat uns im Blick und freut sich, wenn wir uns verschenken, in seinem Namen. (Luise Gründer)