Freitag, 21. Januar 2022
Ruf nach mehr Fantasie

Die neue Normalität in der Pandemie: gestreamte Gottesdienste – wie hier in Frankfurt im März 2020 (Foto: kna/Bert Bostelmann)
Was die Kirche aus den Erfahrungen der Pandemie lernen kann
Eine Studie zeigt, dass die kirchlichen Angebote in der Corona-Zeit bei vielen Gläubigen nicht angekommen sind.
Dass der Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann Fragen in die COSMO-Studie zur Corona-Pandemie einbringen konnte, war Zufall. „Ich habe in anderer Sache mit meiner Kollegin Cornelia Betsch gesprochen“, sagt er. Die Psychologin gehört zu dem Team, das an der Uni Erfurt die Studie durchführt. „Sie fand das eine gute Möglichkeit, auch Zahlen zu Kirche und Seelsorge zu erheben.“ Vorgesehen war das nicht.
„Wir hatten zwei Zielrichtungen“, sagt Kranemann im Gespräch, das er mit seinen Mitarbeitern Dominik Abel und Magdalena Lorek, die die Ergebnisse ausgewertet haben, führt. „Die Hilfe für Einzelne durch Seelsorge und Gottesdienst und die Sicht auf öffentliche Ereignisse wie große Trauergottesdienste.“
„Die Zahlen in Sachen Seelsorge und Gottesdienste finde ich erschütternd“, sagt Abel. Das gelte gerade, wenn man auf das Fünftel der 1010 Befragten schaut, die angaben, Katholiken zu sein. „23,7 Prozent von ihnen sagen, dass ihnen die katholische Kirche zur Seite gestanden hat; 74,7 Prozent verneinen das“.
„Einfach nicht berührt“
„Diese Zahlen zeigen einen erheblichen Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung der kirchlich Verantwortlichen und den zufällig ausgewählten Befragten“, sagt Kranemann. Von kirchlicher Seite werde immer wieder betont, wie viel in der Pandemie doch gemacht worden sei, so der Theologe. „Das stimmt auch sicher, aber die Zahlen sagen, dass die Mühen in der Breite nicht angekommen sind.“
Woran liegt es? An schlechter Kommunikation? Teilweise ja, sagt Lorek. „Die Kirche muss sich schon kreativere Wege überlegen, um für ihre Angebote zu werben.“ Teilweise liege es aber auch am Inhalt. „Sind es wirklich gestreamte
Eucharistiefeiern, die die Leute wollen?“, fragt Kranemann. Abel ergänzt: „Es scheint so, als hätten die Angebote der Kirche die Menschen einfach nicht berührt.“
Was also tun? Resignieren? Nein, sagt Kranemann. „Eine deutliche Mehrheit auch der konfessionell Ungebundenen findet öffentliche Trauerfeiern gut, die nicht nur, aber auch von den Religionsgemeinschaften getragen werden.“ In Sachen Sinnstiftung, Tod und Trauer werde den Kirchen immer noch Kompetenz zugetraut, so Kranemann. Aber klassische innerkirchliche Angebote reichten nicht. „Wir müssen mehr Fantasie für andere liturgische Formen entwickeln“, sagt er und denkt an öffentliche Trauerorte, die die Kirchen mit weltlichen Partnern gestalten könnten. Oder an nicht- eucharistische liturgische Formate, geprägt von Stille oder Musik. (Susanne Haverkamp)