Montag, 31. Januar 2022
Umfangreiche Studie in Vorbereitung

Eine Studie im Bistum Speyer soll unter anderem untersuchen, ob frühere Diözesanbischöfe wie zum Beispiel Friedrich Wetter im Umgang mit sexuellem Missbrauch richtig gehandelt haben. (Foto: kna)
Unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum will Missbrauchsgeschehen wissenschaftlich untersuchen
Das lange erwartete Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München-Freising belastet amtierende und frühere Amtsträger schwer. Auch Kardinal Friedrich Wetter, der von 1968 bis 1982 Bischof von Speyer gewesen war, wird Fehlverhalten in 21 Fällen attestiert. Vorwürfe richten sich zudem gegen den verstorbenen Kardinal Joseph Wendel, der von 1943 bis 1952 das Bischofsamt im Bistum Speyer innehatte. Nun steht die Frage im Raum, welche Konsequenzen die Diözese Speyer aus den Erkenntnissen zieht.
Bistumssprecher Markus Herr teilte auf eine „pilger“-Anfrage mit, dass die im vergangenen Jahr gegründete Unabhängige Aufarbeitungskommission das Missbrauchsgeschehen im Bistum wissenschaftlich untersuchen werde. „Die geplante Studie schließt auch die Frage nach dem Umgang der Verantwortungsträger auf Diözesanebene mit Hinweisen auf Missbrauchsfälle ein und ob sie ihrer Leitungsverantwortung gerecht geworden sind“, unterstreicht Herr. „Dazu gehören auch die früheren Diözesanbischöfe.“
Konsequenzen angekündigt
Das Bistum Speyer sei fest entschlossen, auf Grundlage der Studienergebnisse die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Dazu zählten auch Fragen der öffentlichen Erinnerungskultur wie zum Beispiel die Benennung von Straßen oder öffentlichen Plätzen sowie der Umgang mit Grabstätten von Priestern, die von der Studie als Missbrauchstäter ausgewiesen werden.
Nach Angaben von Bernhard Scholten, Sprecher der Unabhängigen Aufarbeitungskommission in der Diözese Speyer, bereite das Gremium derzeit die Vergabe einer wissenschaftlichen Studie zum sexuellen Missbrauch in Einrichtungen und Pfarrgemeinden innerhalb des Bistums zwischen 1945 und der Gegenwart vor. Die Untersuchung schließe unter anderem auch die Orden mit ein. Als Beispiele nennt Scholten das ehemalige Kinderheim Engelsgasse in Speyer in Trägerschaft der Niederbronner Schwestern und das Johanneum in Homburg – ein Gymnasium unter dem Dach der Hiltruper Missionare. „Beide Ordensgemeinschaften haben bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert“, so Scholten.
Geplant sei möglichst ein zweistufiges Verfahren: zum einen eine Vorstudie im Frühjahr dieses Jahres, die zur Quellenlage in Archiven des Bistums, beteiligter Ordensgemeinschaften sowie in staatlichen Archiven forscht; und zum anderen eine Hauptstudie im Sommer 2022, die die Vorgänge in den Einrichtungen und Pfarrgemeinden darstellen und klären soll. Dies schließe auch die Beantwortung der Frage mit ein, wie diese Taten vertuscht und verharmlost werden konnten und wer dafür verantwortlich war. Für Bernhard Scholten ist klar: „Der gesamte Prozess ist nur mit Betroffenen durchführbar. Sie und ihre Anliegen müssen im Fokus der Aufarbeitung stehen sowie Inhalt, Tiefe und Geschwindigkeit der Untersuchungen bestimmen.“ Der Kommissions-Sprecher geht davon aus, dass sich die Dauer der Studie auf zwei bis drei Jahre erstreckt, unterteilt in einzelne Teilprojekte, die Zwischenergebnisse ermöglichen.
Nur mit Betroffenen machbar
Bernd Held, der Sprecher des Betroffenenbeirats im Bistum Speyer, und ein weiteres Mitglied dieses Gremiums sind mit Sitz und Stimme in der Aufarbeitungskommission vertreten. Sie wollen darauf hinwirken, dass die Durchführung der Studie in ähnlicher Weise wie im Erzbistum München-Freising erfolgt. „Es muss alles schonungslos aufgeklärt werden und zwar unter Einbeziehung von uns Betroffenen. Denn wir sind diejenigen, um die es geht.“ Für Bernd Held sind die Ergebnisse des Münchner Gutachtens nicht überraschend. „Wir haben schon lange gemutmaßt, dass die Vertuschung der Taten bis in die obere Leitungsebene reicht – von Generalvikaren bis zum Papst.“ Jetzt komme die ganze Tragweite des Missbrauchs unter dem Dach der Kirche peu à peu ans Licht. Und das sei gut so.
Generalvikar Andreas Sturm glaubt, dass die Veröffentlichung der Münchner Studie die Kirche insgesamt verändern wird. Denn sie betreffe weniger einzelne Täter, sondern vor allem das System Kirche. Es gehe „um Männer wie mich, die in dieser Hierarchie Verantwortung übernommen haben und deren Blick eben nicht dem leidenden Kind galt, sondern die nur darauf geschaut haben, dass es keinen Makel an der heiligen Kirche gibt“. Zwar sei es nicht möglich, Missbrauch ungeschehen zu machen, „aber wir sind heute gefordert, einen anderen Umgang wie in der Vergangenheit zu leben“. Sturm hatte sich am vergangenen Sonntag in seiner Predigt in Niederkirchen und Deidesheim zu dem Gutachten geäußert und den gesamten Wortlaut seiner Ansprache einen Tag später auf Facebook gepostet.
Seelsorge wird untergraben
Mit großer Betroffenheit hat der Berufsverband der Gemeindereferenten und Religionslehrer im Bistum Speyer auf die Münchner Enthüllungen reagiert. „Wir sind fassungslos über das Ausmaß an Vertuschungen, Verharmlosungen und dem Aufbau von Lügengebäuden, einzig und allein zum Zweck der Machterhaltung und des Schutzes der Kirche“, heißt es in einer am 24. Januar veröffentlichten Stellungnahme des Verbandes. Durch das Fehlverhalten einzelner Amtsträger in leitenden Positionen weltweit werde die „tägliche gute und segensreiche Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern untergraben und in Misskredit gebracht“. Wie könne es sein, dass im zwölften Jahr nach der ersten Veröffentlichung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Deutschlands immer noch Amtsträger jeglichen Anstand und Respekt gegenüber Betroffenen vermissen ließen?
Mit Sorge beobachte der Verband, dass sich viele Seelsorgerinnen und Seelsorger schon seit Jahren innerlich von der Kirche verabschiedet haben und nach anderen Berufen Ausschau hielten. (pede)