Donnerstag, 17. Februar 2022
„Wir bereiten uns vor!“

Die Ukraine braucht jetzt Beistand: klare Botschaft auf einem Plakat bei einer Demonstration Anfang Februar in München (Foto: imago/ZUMA Wire)
Wie die Menschen in der Ukraine mit dem drohenden Krieg umgehen
Seit Wochen wird die Lage in der Ukraine immer bedrohlicher, bei Redaktionsschluss schien ein Krieg nahe zu sein. Der langjährige Caritas-Präsident Andrij Waskowycz aus Kiew sagt, die Menschen verhielten sich solidarisch. Aber sie brauchten auch Hilfe.
„Die Situation ist für die Menschen in der Ukraine sehr angespannt“, sagt Andrij Waskowycz. „Morgens stehen sie auf mit dem Gedanken: Greifen die Russen heute an? Und abends gehen sie mit dem Gedanken ins Bett: Gehen sie heute Nacht über die Grenze?“ Auch wenn alle versuchten, Ruhe zu bewahren: „Die Menschen leben jeden Tag mit dieser Bedrohung, und sie wird immer größer.“ Zumal Aufrufe wie der von US-Präsident Joe Biden, alle Amerikaner sollten sofort das Land verlassen, nicht zur Beruhigung beitragen.
Der griechisch-katholische Christ Andrij Waskowycz war 20 Jahre lang Präsident der Caritas Ukraine, jetzt leitet er eine Koordinierungsstelle für humanitäre und soziale Initiativen im Land. „Wir wissen nicht, was passiert“, sagt er. „Aber wir bereiten uns darauf vor, dass nach einer Invasion der russischen Armee Millionen Menschen auf der Flucht sein werden.“
„Hier geht es um unsere Freiheit, das ist nicht zu verhandeln“
Diese Vorbereitungen sind sehr konkret. „Wir haben in den Kirchengemeinden Trainings begonnen“, sagt Waskowycz. „Es geht um erste Hilfe für Verletzte, aber auch darum, Hallen anzumieten und Lager zu füllen.“ Lebensmittel, Verbandszeug, Generatoren, Zelte, Decken, Feldküchen – alles könnte gebraucht werden. „Ein Problem ist, dass die humanitäre Hilfe aus dem Ausland erst dann anläuft, wenn die Lage eskaliert“, sagt Wasko-
wycz. Zwar unterstützen das Hilfswerk Renovabis und die Caritas finanziell, „aber das reicht nicht“.
Die Solidarität und der Zusammenhalt im ukrainischen Volk seien dagegen sehr stark. „Als 2014/2015 der Krieg begann, flüchteten 1,7 Millionen Menschen aus der Ostukraine Richtung Westen“, sagt Waskowycz. „Trotzdem gab es keine Erhöhung der Obdachlosigkeit. Viele Ukrainer haben völlig Fremde einfach aufgenommen, manchmal jahrelang.“ Doch durch die lange Zeit und verstärkt durch Corona seien die eigenen Kräfte langsam aufgebraucht. Auch Papst Franziskus hat mehrfach seine Sorge über die Lage in der Region zum Ausdruck gebracht. „Krieg ist ein Wahnsinn, ein Unsinn“, mahnte er bei der Generalaudienz vergangene Woche. Könnte er in dem Konflikt vermitteln?
Der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk aus Kiew hofft es und hat Franziskus eingeladen. „Die Menschen in der Ukraine sagen: Wenn der Papst in die Ukraine kommt, wird der Krieg enden, denn wenn der Papst kommt, tut er es als Friedensbote“, so der Bischof. Andrij Waskowycz ist dagegen skeptisch. „Was sollte der Inhalt von Friedensgesprächen sein?“, fragt er. „Hier geht es um unsere Freiheit, um die Souveränität unseres Landes, das ist nicht zu verhandeln.“ Allein im Aufgeben der territorialen und hegemonialen Ansprüche aus Russland“ liegt aus seiner Sicht die Lösung.
Und was hält er von Friedensgebeten, zu denen der Papst und andere Kirchenvertreter aufrufen? „Das finde ich großartig“, sagt Andrij Waskowycz. „Zum einen geben diese Gebete uns das Gefühl, nicht allein zu sein, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die an uns denken.“ Und zum anderen, sagt er, „glaube ich fest daran, dass Beten hilft“. (Susanne Haverkamp)