Freitag, 29. April 2022
Die große Vielfalt

Wundersamer Fischzug der Jünger und Offenbarung Christi am See Genezareth, Ausschnitt aus dem Codex Egberti (fol. 90r), 10. Jahrhundert. (Foto: Scan aus dem Codex Egberti, / Wikimedia Commons/gemeinfrei)
Ein Bild auch für den Synodalen Weg
„Umsonst!“ – Viel Zeit, Energie und Lebenskraft haben die meisten schon für ihre Arbeit und Aufgabe eingesetzt. Doch dann vielfach: Die herbe Enttäuschung. „Es war umsonst.“ Die große Frustration.
Ähnlich war es wohl den Jüngern Jesu nach dem Tod ihres Rabbi ergangen. Sie hatten alles aufgegeben und waren ihm nachgefolgt. Aber dann: die große Ernüchterung. Der Meister stirbt den Tod eines Verbrechers am Kreuz. Sie stehen mit leeren Händen da. Was bleibt ihnen nun zu tun, als zu ihrem Beruf als Fischer zurückzukehren? Doch rasch folgt die nächste Enttäuschung. Obwohl sie sich zur besten Zeit für einen Fischfang auf den See begeben hatten, war ihre Arbeit umsonst. Das Netz blieb leer. Vielleicht mussten sie erst die Erfahrung machen, mit leeren Händen dazustehen. Nun unternehmen sie auf den Rat eines für sie noch Unbekannten einen neuen Versuch. Dieses Mal auf der anderen Seite.
Es war nicht umsonst, seinem Rat zu vertrauen. 153 große Fische füllten das Netz. Eine symbolische Zahl. Damals waren im Mittelmeerraum 153 Fischarten bekannt. Kein Einheitsfisch. Jeder Fisch hat seine eigene Art und je eigene Entwicklung. Alle zusammen gehören sie in das Netz. Hinter der Erzählung verbirgt sich bereits die Erfahrung der frühen Kirche: Menschen aus vielen Völkern hatten sich der Botschaft Jesu angeschlossen.
Eine bildhafte Aussage, die hinweist auf die Weite des Evangeliums, die für alle Menschen gilt: Hier, in der Gemeinschaft der an Jesus Glaubenden und durch ihn Erlösten, ist Raum für alle Völker, ohne Unterschied ihrer kulturellen und geschichtlich gewordenen Identität. Sie zusammen bilden eine Einheit, aber keine Einheitlichkeit. Sie dürfen in ihrer Vielfalt bestehen bleiben. In unserer Zeit wäre es zu wenig, wenn sich die Vielfalt in der Kirche auf den Bereich der Liturgie beschränken und nur so die Verschiedenheit der Kulturen der Christen und ihre unterschiedliche Prägung widerspiegeln würde.
So muss z. B. auch bei der Struktur einer Pfarrei, einer Diözese und der Weltkirche die gleichwertige und gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau in den jeweiligen Gesellschaften berücksichtigt werden.
Wo ein demokratischer Aufbau einer Gesellschaft das Leben der Bürger prägt, wird eine monarchische Machtstruktur einer Kirche nicht mehr akzeptiert.
Wenn eine gleichgeschlechtliche Liebe Menschen miteinander verbindet, darf auch diese Liebe unter dem Segen Gottes stehen. Die Entwicklung in einer Gesellschaft und fortschreitende Erkenntnisse ermöglichen hier eine neue Denkweise in der Kirche.
Auch in anderen Bereichen verlangt die Einheit der Kirche kein einheitliches Vorgehen. Es ließe sich eine Reihe von Beispielen anführen, wo nicht mehr überzeugende Traditionen aufgegeben wurden, weil sie schließlich für die Botschaft Jesu hinderlich waren.
Selbst lange Zeit für unumstößlich gehaltene Traditionen dürfen der Vielfalt in der Kirche nicht im Wege stehen. Sie aufzugeben gefährdet nicht die Einheit der Kirche. Weil es z.B. angeblich immer so war, dass die Ehelosigkeit Voraussetzung für das Amt des Priesters galt, muss dies nicht weiterhin und überall so bleiben.
Die Jünger Jesu, so berichtet das Evangelium, waren überwältigt vom Ergebnis ihrer Arbeit. Nun hatten erkannt, wem sie den Erfolg bei der Verkündigung der Frohen Botschaft zu verdanken hatten. Ihr eigener Einsatz war gefordert. Aber erst der Rat Jesu führte zum reichlich gefüllten Netz, ausgeworfen auf der anderen Seite des Bootes, eine Richtungsänderung.
Für den Synodalen Weg könnte die Aufforderung Jesu wohl auch gelten: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus.“ Im Vertrauen auf Jesus dürfen die Synodalen den Versuch wagen, nach neuen, erfinderischen Wegen für die befreiende Botschaft Jesu zu suchen. Diese Wege müssen nicht unmittelbar für alle Teilkirchen der römisch-katholischen Kirche weltweit in gleicher Form gelten. Was hindert die Weltkirche daran, regionale Lösungen zu finden? Bereits das Zweite Vatikanische Konzil öffnete die Tür in diese Richtung.
Der Synodale Weg versucht für die Kirche in Deutschland und darüber hinaus Möglichkeiten aufzuzeigen, wie in unserer Zeit der Glaube verkündet und gelebt werden darf. So könnten Menschen in ihm eine attraktive Hilfe finden ihr Leben zu gestalten. Die Vielfalt der Fische in dem einen Netz könnte ein Bild sein für eine umfassende, wirklich katholische Kirche auf der ganzen Welt, die Menschen aller Sprachen Heimat bietet.
Das Band, das Einheit in der Vielfalt miteinander verbindet, ist der Glaube an Jesus Christus, den Auferstandenen. Er wartet am Ufer auf die Jünger, auf uns: Er lädt uns ein, uns zum Mahl und Feiern zu versammeln. So gestärkt, und verbunden mit Christus, unserer Quelle, kann die Vielfalt ausgehalten und eine heilvolle Einigung gefunden werden, immer wieder neu. Es ist das Mahl und das Hören auf das Wort Gottes, das uns über alle Unterschiede hinweg zur Einheit verbindet. Es erweist sich in Werken der Liebe als fruchtbar und tragfähig. (Theo Wingerter)