Mittwoch, 04. Mai 2022
Er gab Olympia ein freundliches Gesicht
Vor 100 Jahren wurde Otl Aicher geboren
Sie sind so schlicht wie genial: die Piktogramme der Olympischen Spiele 1972 in München. Wenige Linien und Punkte nur – und alle erkennen sofort, welche Sportart gemeint ist. Die Grafiken stammen von Otl Aicher.
Er ist der Gestaltungsbeauftragte der Spiele in München. Die Uniformen der Ordner, die Plakate, Eintrittskarten, ja, sogar die Parkscheine – das gesamte äußere Erscheinungsbild des Großereignisses wird von Aicher durchgestylt. Wobei es um mehr als nur einen attraktiven Look geht: Ein Vierteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg soll das Gastgeberland ein sympathisches Gesicht zeigen: bunt, heiter, gelöst. Das gelingt auch – bis palästinensische Terroristen die Fröhlichkeit grausam zerstören.
Es ist nicht die erste Erfahrung brutaler Gewalt, die Otto Aicher – von klein auf Otl gerufen – erlebt. Am 13. Mai 1922 in Ulm geboren, wächst er in einem katholischen Elternhaus auf, engagiert sich in der katholischen Jugendbewegung und weigert sich, der Hitlerjugend beizutreten. Zu seinen Klassenkameraden gehört Werner Scholl. Durch ihn lernt er dessen Familie kennen; er fühlt sich vor allem zu Inge, der ältesten der Scholl-Geschwister, hingezogen; Otl scheut davor zurück, sich Sophie und Hans und ihrer Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ anzuschließen.
Otl wird Soldat, kämpft in Russland und Frankreich, ehe er kurz vor Kriegsende desertiert und mit Inge und ihren Eltern Unterschlupf auf einem Bauernhof findet. Zurück in Ulm organisiert er Seminare zu politischen und religiösen Themen; einer der ersten Referenten ist der Theologe Romano Guardini – er ist es, der Inge und Otl 1952 traut.
Zu dieser Zeit sind die Vorbereitungen des Paares, zusammen mit dem Künstler Max Bill die Ulmer Hochschule für Gestaltung zu gründen, bereits weit fortgeschritten. Zwar hat Otl kurz Bildhauerei studiert, doch die Grafik reizt ihn mehr. Die Hochschule, 1953 eröffnet, existiert zwar nur 15 Jahre, gilt jedoch als bedeutendste Einrichtung ihrer Art nach dem Bauhaus.
Nach den Olympischen Spielen kauft Aicher einen Bauernhof im Allgäu, der bis zu seinem Tod 1991 – er stirbt an den Folgen eines Verkehrsunfalls – zum Zentrum seines Familien- und Berufslebens wird. Hier schreibt er seine Bücher über Design und er entwirft natürlich: Unter anderem poliert er das „Corporate Design“, wie der Fachausdruck heißt, des ZDF, der Sparkassen oder des Küchenherstellers Bulthaup auf.
Zu seinen Kunden zählt auch die Bundeswehr, was ihn nicht hindert, ein professionelles Erscheinungsbild für die pazifistischen Ostermärsche zu entwickeln – typisch für den unbequemen schwäbischen Dickschädel. (Hubertus Büker)