Mittwoch, 07. September 2022
Die Hartnäckigkeit des Suchenden

„Das Gleichnis vom verlorenen Schaf“: Das Gemälde von Domenico Fetti, um 1620 (Ausschnitt), stellt die Freude über das wiedergefundene Schaf dar. Sammlung der Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden. (Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei)
Gott lässt nichts und niemanden verloren gehen
Verloren. Eingezwängt im Dornbusch hängt es fest das kleine Schaf. Aussichtslos und ohne Hoffnung darauf, gefunden zu werden. Es ist nur eines von hundert und wahrlich nicht wert, gesucht zu werden.
Verloren. In eine Ritze gerollt liegt das Geldstück jetzt zwischen Staub und allerlei Dreck unbeachtet in einer Ecke des Zimmers mit wenig Hoffnung auf Entdeckung.
Verloren. Der Sohn, der auszog, um Freiheiten zu genießen, landet im Dreck bei den Schweinen und ist so am Boden, dass er sogar das Essen der Schweine nehmen würde, um nur zu überleben.
Gleich drei Erzählungen des Verlorenseins begegnen uns heute im Evangelium. Am nachvollziehbarsten für mich ist wahrscheinlich die Geschichte des jungen Mannes. Wie menschlich ist es doch, einmal die Flucht aus dem Alltag zu wagen, auszureißen vom Alltagstrott auf dem Hof des Vaters in ein Abenteuer voller Vorfreude auf das, was kommt. Doch dann der Absturz: er hat sich verloren auf seiner Suche nach Freiheit.
In so großem Stil habe ich dieses Sich-Verlieren noch nicht erlebt und doch kenne ich alltägliche Situationen, in denen ich mich oder andere Dinge verliere. Da ist der Berg an Arbeit, in die ich mich stürze und verloren bin, weil ich nicht aus dem Alltagstrott herauskomme, und wie oft verliere ich unbeabsichtigt Dinge aus den Augen.
Verlieren geht schnell. Immer wieder erwische ich mich dabei, Dinge vielleicht aus einer Unachtsamkeit einfach irgendwo hinzulegen und sie dann nicht mehr wiederzufinden. Je nachdem gibt es dann meist zwei Möglichkeiten. Erstens die nervenaufreibende Suche, bis der Autoschlüssel endlich gefunden ist, oder zweitens der Gedanke „egal, irgendwann taucht es schon wieder auf“, wenn das Gesuchte nicht unmittelbar gebraucht wird oder die Suche zu zeitintensiv wird.
Nicht so in den Erzählungen des Lukasevangeliums. Das Verlorene bleibt nicht verloren, sondern es ist es wert, wiedergefunden zu werden – ganz unmittelbar. Das eine Schaf von den hundert wird so lange vom Hirten gesucht, bis es gefunden wurde. Die kleine Drachme wird – auch wenn nicht akut gebraucht – gesucht und die Wohnung wird auf den Kopf gestellt, bis das Geldstück in der Ritze gefunden wird. Der Sohn, der sich aus freier Entscheidung ins Abenteuer gestürzt hat, wird mit offenen Armen und nicht mit einer Belehrung a la „das habe ich dir doch gleich gesagt“ empfangen. Das Vorangegangene ist dabei nicht ungeschehen, aber wichtiger ist, dass der Sohn lebendig nach Hause gekommen ist.
Drei Gleichnisse über das Verlieren, Suchen und Wiederfinden, mit denen Jesus uns verdeutlichen will, dass jeder und jede Einzelne seinen Wert hat. Scheint im Gleichnis das eine kleine Schaf, die eine Drachme auf den ersten Blick für uns und gar für das Verlorene selbst bedeutungslos, für Gott ist es das nicht. Alles, ja jeder und jede, der gerade am tiefsten Abgrund seines Lebens steht ist wert, (wieder) gefunden zu werden. Seine Tür für uns steht sperrangelweit offen und noch mehr: Er will uns immer wieder finden und seine Freude über dieses Wiederfinden ist riesig.
Für mich hat diese Zusage Jesu, die uns in den Gleichnissen gemacht wird, etwas Beruhigendes. Selbst wenn ich am Boden bin und drohe mich selbst zu verlieren, dann darf ich darauf bauen, dass Gott mich unermüdlich sucht, bis ich in seine Arme fallen darf.
Verlieren geht schnell, die Suche kann schon länger dauern. Auch für meinen Alltag glaube ich, eine Botschaft in den Gleichnissen zu entdecken. Denn, wie schnell gebe ich eine Suche nach etwas oder jemandem auf oder verschiebe sie auf eine unbestimmte Zeit, ohne das eigene Handeln dabei wirklich zu hinterfragen? Wie viel schöner ist es da auch den kleinen Dingen des Lebens so viel Bedeutung zu schenken, dass sie es wert sind, gesucht und gefunden zu werden? Denn dann ist die Freude groß bei jedem noch so kleinen, unscheinbaren Schatz in dieser Welt. (Annika Baer)