Mittwoch, 14. Dezember 2022
Auf Schusters Rappen nach Rom

Ein besonderer Moment: Rudi Schreiber konnte bei der Generalaudienz mit dem Papst ein paar persönliche Worte wechseln. (Foto: Privat)

Führten im Vorfeld der Pilgertour nach Rom ein angeregtes Gespräch im Dom: Generalvikar Markus Magin, Bernd Held vom Betroffenenbeirat, Rudi Schreiber und Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann (von links). (Foto: is)
Ein Pfälzer pilgerte 1 200 Kilometer, um das Thema Missbrauch in der Kirche in den Fokus zu rücken
Rudi Schreiber, ein Mann im Seniorenalter, hatte sich einer Mission verschrieben: Er wollte auf den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche aufmerksam machen. Etwas Außergewöhnliches sollte es sein, etwas, das Aufsehen erregt. Und so hatte er nicht nur die verwegene Idee, per pedes von seinem Wohnort Birkenheide nach Rom zu gehen, er setze sie auch um.
Start des Pilger-Unternehmens war der 15. September. „Kein guter Tag, denn es regnete, teilweise schüttete es wie aus Eimern“, erinnert sich Rudi Schreiber. „Aber ich ließ mich nicht von meinem Plan abbringen und marschierte um 8 Uhr los.“
23 Kilometer und fünfeinhalb Stunden später erreichte er Speyer. Durchnässt und mit Blasen an den Füßen. Da tat es gut, ins Trockene des Doms zu gelangen. Hier kam er gerade recht zu einem Austausch über das Thema sexueller Missbrauch, zu dem der Betroffenenbeirat des Bistums geladen hatte – auch Schreiber als besonderen Gast mit speziellem Vorhaben. Denn jeder gelaufene Kilometer auf dem Weg in die ewige Stadt sollte ein Fingerzeig auf jedes Opfer und sein persönliches Schicksal sein, so seine Intention. Davon zeigte sich auch der Bischof beeindruckt. Mit den besten Wünschen im Gepäck schnürte der Pilger wieder seine Schuhe und nahm es mit der nächsten Etappe auf. „Mein Weg war anfangs sehr beschwerlich, wegen des Wetters und meiner wunden Füße. Mehr als 20 Kilometer am Tag habe ich nicht geschafft.“
Die Witterung zeigte sich auch nach 14 Tagen nicht von ihrer besten Seite, sondern regnerisch und kalt. „Dafür hatte ich Glück und bekam an zwei besonders schlimmen Tagen Obdach im Haus von ganz lieben Menschen.“ Ab der dritten Woche ging es mit der körperlichen Verfassung allmählich bergauf, und am 4. Oktober gelangte er nach Österreich. Drei Tage später ging es über den Brennerpass. Fast 500 Kilometer hatte Rudi Schreiber nun bereits geschafft, trotzdem lag das Ziel noch in weiter Ferne. Und weil im wirklichen Leben nicht alle Wege nach Rom führen, war er froh, ein Navi als Richtungsweiser zu haben. „Tagelang war ich im Etschtal unterwegs, das ganz unterschiedliche Gesichter hat. Irgendwann lag Südtirol hinter mir, ab Bologna folgte ich dem Pilgerweg Via digli dei, der bis Florenz führt.“
Am 21. Oktober dann die aufregende Nachricht: Rudi Schreiber hat während der Generalaudienz beim Papst einen Platz in der ersten Reihe und danach die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch. „Das war schon eine große Sache. Für mich und für meine Mission.“ Die Aussicht darauf ließ ihn durchhalten und die Toskana hinter sich bringen, die sich zwar als landschaftlich reizvoll, aber für Fußgänger herausfordernd erwies.
Am 7. November war Rom erreicht, nach 1 251 oft mühsamen Kilometern, aber auch bereichernden Erlebnissen. „Endlich duschen, Wäsche waschen, ausruhen. Ich konnte es kaum erwarten. In einem Pilgerheim in der Stadt fand ich Unterkunft und lernte Pilger aus der ganzen Welt kennen.“ Um für den großen Tag der Audienz gewappnet zu sein, legte sich Rudi Schreiber ein paar Sätze zurecht, sollte er beim Papst tatsächlich zu Wort kommen. „Ich habe dann zwar etwas ganz anderes gesagt. Doch ich glaube, dass mein gedachter Spruch trotzdem den Segen bekommen hat.“
Am nächsten Tag ging die Pilgertour zu Ende. Die Füße durften im Nachtexpress Richtung München verschnaufen, und Rudi Schreiber konnte die 55 Tage seiner außergewöhnlichen Pilgertour gedanklich Revue passieren lassen. (PIL)