Dienstag, 27. Dezember 2022
Ein junges Mädchen erfindet die Sternsinger-Aktion
Auf dem Römerberg in Frankfurt am Main haben zum 30. Dezember gut 800 Sternsinger und 200 Begleitende den Start der 65. Sternsinger-Aktion „Dreikönigssingen“ erwartet. Zum zweiten Mal war das Bistum Limburg Gastgeber der bundesweiten Eröffnungsveranstaltung, die in diesem Jahr unter dem Motto „Kinder stärken – Kinder schützen“ steht. 1959 fand die erste Aktion des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger“ statt. Seit dem sind insgesamt 77 400 Projekte mit rund 1,27 Milliarden Euro unterstützt worden. Projekte in den Bereichen Bildung, soziale Integration, Gesundheit, Pastoral, Ernährung, Kinderschutz und Notfallhilfe werden gefördert. Doch wer weiß schon, dass vor bald 180 Jahren ein damals knapp 16-jähriges Mädchen aus Aachen die Sternsingeraktion offiziell ins Leben rief?
Die 13-jährige Auguste von Sartorius saß mit ihren Eltern und Geschwistern in der Kirchenbank des Aachener Doms, als sie in einer Predigt davon hörte, dass es derart arme Kinder gebe, dass sie täglich ums nackte Überleben kämpfen müssten. Sie würden ein armseliges Dasein fristen. Der Priester nannte als Beispiel die elenden Zustände in vielen Missionsgebieten der Welt.
Dieser Armutsbericht trifft das tiefgläubige Mädchen – aus wohlhabenden Elternhaus stammend – ins Herz. Es will helfen! Dabei ist das gemeinnützige Engagement in der Familie bereits sehr ausgeprägt. Ihr Vater, Georg von Sartorius, ist praktizierender Arzt, der auch die weniger betuchten Patienten behandelt. Und ihre Mutter Therese kümmert sich durch ihre Vorstandstätigkeit im Frauenverein um das dazugehörige Marianneninstitut. Dort können arme Frauen ihre Kinder in behüteter Umgebung entbinden und die ersten Tage mit ihrem neugeborenen Kind umsorgt verbringen.
Der Domprediger erzählte auch von guten Hilfserfolgen, die der französische Bischof aus Nancy, Charles Auguste Marie Joseph de Forbin-Janson, durch die Gründung seines Kinderhilfswerkes „Oeuvre de la Sainte Enfance“ („Werk der heiligen Kindheit“) leisten würde. Die noch 13-jährige Auguste gewinnt nach und nach ihre Freunde und weitere Kinder als Spendensammler hinzu. Von den Erwachsenen wird sie zunächst kaum beachtet und wenn, dann meist nur belächelt. Doch Auguste hält an ihrem großartigen Vorhaben fest. Es soll ein „Kinder helfen Kindern“-Werk werden. Zunächst sammelt sie das Geld für den Verein des französischen Bischofs, denn die Geistlichen vor Ort stehen Augustes Vorpreschen zurückhaltend gegenüber. Immer wieder aber bittet sie um deren Unterstützung, um auch in Deutschland einen Verein für die armen Kinder in den fremden Ländern gründen zu können. Drei beschwerliche Jahre verfolgte sie eisern ihr Ziel, bis es tatsächlich zur Gründung des deutschen Kindermissionswerkes „Verein der heiligen Kindheit“ kam. Es war der 2. Februar 1846.
Da Auguste mit knapp 16 Jahren formal immer noch keinen Verein leiten konnte, führte ein befreundeter Priester den Verein offiziell, und ihr eigener Vater nahm die verantwortungsvolle Stelle des Schatzmeisters ein. Die Kinder aber verkleideten sich als die Heiligen Drei Könige und sammelten weiter fleißig Spenden. Unermüdlich kümmerte sich die Jugendliche darum, dass ihr Verein wuchs und gute Früchte hervorbrachte. Sie wusste sich durch ihr vertrauensvolles Gebet, besonders zum heiligsten Herzen Jesu, gestärkt. 25jährig entschied Auguste sich für den Eintritt ins Kloster. Sie wollte Gott ganz und gar gehören. Halbheiten gab es für sie nicht. Dem Orden vom Heiligen Herzen Jesu, besser bekannt als „Sacré-coeur-Schwestern“, gehört sie nun an. Nicht nur ihre tiefe Frömmigkeit, sondern auch ihre enormen Wissenskenntnisse auf den verschiedensten Gebieten machte sie für den Orden sehr hilfreich. Ihre Schulkenntnisse, die allesamt aus dem häuslichen Privatunterricht stammten, brachte sie in verantwortungsvolle Aufgaben. Bereits vor ihrer Ewigen Profess in Rom 1863 war sie Internatsleiterin in Blumenthal, im darauffolgenden Jahr sogar Hausoberin dort. Sodann beginnt sie, Pläne für ein Noviziat in der Ordensniederlassung im Kloster Marienthal bei Münster zu entwerfen. Dieses Vorhaben kann sie aber durch den Kulturkampf nicht verwirklichen.
Der Orden wird aus dem Deutschen Reich ausgewiesen. Ein harter Schlag für Auguste und ihre Mitschwestern, die sich so liebevoll um die Kinder und Jugendlichen gekümmert hatten. Weil sie ihr Ordenswerk als übernatürlich und äußerst wichtig ansieht, nimmt sie die Ausweisung nicht ohne Protest hin. Sie läßt dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Friedrich von Kühlwetter, eine offizielle Be-schwerde zukommen. Doch es bleibt bei der Ausweisung. 1884 erhält sie wegen ihrer umfassenden Sprachkenntnisse den Auftrag, als Vikaroberin nach Amerika zu gehen und dort das Vikariat Lousiana neu zu organisieren und das mexikanische Vikariat in die Selbständigkeit zu führen. 1886 betreut sie als Stellvertreterin der Generaloberin des Ordens in der Pariser Zentrale alle amerikanischen Niederlassungen. Dies muss Auguste mit Bravour gemeistert haben, denn bereits 1894 wird sie gleich im ersten Wahlgang zur neuen Generaloberin gewählt. Damit ist sie die vierte Oberin des noch jungen Ordens.
Auguste hatte viel vor: Sie wollte ganz im Sinne ihrer Ordensgründerin, der heiligen Magdalena Sophie Barat, die Herz-Jesu-Verehrung fördern. Auguste beabsichtigte, dadurch noch mehr jungen Menschen das Herz für die unendliche Liebe Gottes öffnen zu können. Doch nach nur zehn Monaten ihrer Führung erleidet sie am 8. Mai 1895 einen tödlichen Schlaganfall. Ihre sterbliche Hülle ruht im südlich von Paris gelegenen Kloster von Conflans.
Mit ihrem Tod ist aber ihr Werk der „Sternsinger“ nicht untergegangen! Bereits 1856 wurde der Verein von Papst Pius IX. kirchlich anerkannt. Die UNESCO-Kommission hat die lange Sternsinger-Tradition 2015 in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Seit Jahrzehnten ist es üblich, dass deutsche Sternsinger an ihrem Ehrentag die Opfergaben der Messe zum Papstaltar in Rom tragen dürfen. Dies ist eine Ehrerweisung – auch gegenüber Auguste von Sartorius. Das von ihr gegründete Kindermissionswerk konnte 2021 seinen 175. Geburtstag feiern. Neben der Förderung der Kinder-Hilfsprojekte zählen der Einsatz für die Rechte von Kindern weltweit sowie die Bildungsarbeit zu den Aufgaben. Elmar Lübbers-Paal