Mittwoch, 23. August 2023
Gebt allen Kindern eine Chance!
Christliche Sozialverbände fordern, dass bedürftige Familien mehr und effektiver unterstützt werden
Deutschland ist ein reiches Land. Trotzdem ist jedes vierte Kind hier arm – und hat schlechte Chancen aufzusteigen. Caritas und Diakonie wollen ihnen helfen.
Die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu. In den 1960er Jahren haben gerade mal 125 000 Kinder Sozialhilfe bezogen, heute gelten nach jüngsten Studien knapp drei Millionen Kinder als arm. Sie können sich oft das Notwendigste wie Lehrmittel für die Schule, gesundes Essen oder die Gebühren für einen Sportverein kaum leisten.
Obwohl die Bundesrepublik die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt ist, ist die Armutsquote von Kindern in den meisten EU-Nachbarstaaten niedriger. In Dänemark und Holland beträgt sie 14 Prozent. In Deutschland ist laut Diakonie-Chef Ulrich Lilie „jedes vierte Kind arm“. Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, der über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügt.
Da auch das Bildungs- und Ausbildungsniveau bei Kindern aus einkommensschwachen Familien oft unterdurchschnittlich ist, ist die Kinderarmut zu einer Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt geworden. Dies geht aus einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Auch die gesellschaftlichen Folgekosten, etwa durch ausbleibende Steuereinnahmen sowie höhere Ausgaben im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssektor, sind enorm und sollen jährlich 110 Milliarden Euro betragen.
Ein unbürokratisch abrufbares Paket
Seit Monaten fordern daher christliche Verbände wie die Caritas und die Diakonie, die Familienkommission der Deutschen Bischofskonferenz, der VdK sowie der DGB die Bundesregierung unisono auf, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Darin sollen alle bisherigen Maßnahmen wie das Kindergeld, der Kinderzuschlag, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie eventuelle Sozialleistungen zu einem unbürokratisch abrufbaren Paket gebündelt werden; zusätzlich sollen einige Leistungen für besonders Bedürftige erhöht werden. Bisher müssen die Mittel aufwendig bei verschiedenen Stellen beantragt werden und wurden deswegen oft nicht abgerufen. Die für eine auskömmliche Kindergrundsicherung notwendigen Ausgaben beziffern die Verbände auf zusätzlich 20 bis 24 Milliarden Euro jährlich. Nach Worten von Eva Maria Welskop-Deffaa, der Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, müsse der Staat endlich auch hierzulande „dafür Sorge tragen, dass Kinder und Jugendliche unabhängig vom Einkommen der Eltern mit gleichen Lebenschancen aufwachsen“.
Die Bundesregierung will eine Kindergrundsicherung einführen. Doch seit Monaten herrscht in der Ampel Streit über die Ausgestaltung. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bezifferte die Ausgaben dafür anfänglich auf jährlich zwölf Milliarden Euro, Finanzminister Christian Lindner (FDP) will dem Projekt nur zwei Milliarden Euro zugestehen.
Inzwischen hat Paus ihre Forderung deutlich reduziert. Doch der Streit in der Bundesregierung hält an. Lindner wies darauf hin, dass von der Kinderarmut auch viele Kinder von Zuwanderern betroffen seien; es sind rund 50 Prozent. Statt diesen Familien mehr Geld zu überweisen, solle der Staat lieber in Integrationskurse sowie in den Ausbau von Kitas und Schulen investieren, so Lindner. Ende August will die Regierung den Streit beilegen. (Andreas Kaiser)