Freitag, 15. September 2023
Lebensnah in verständlicher Sprache

,,Was kostet das Leben, und was bin ich wert?“, lautete das Thema des Gottesdienstes am 8. September. Zur Illustration hatten die Frauen unter anderem einige Gegenstände (Foto) sowie Münzen und Scheine ausgelegt. (Foto: Pfeifer/Privat)
In Bockenheim bietet eine kleine Gruppe von Frauen regelmäßig eine etwas andere Wortgottesfeier an
Das kirchliche Leben geht zurück, auch im Bistum Speyer. Leere Kirchenbänke sind ein deutliches Indiz für diese Entwicklung. Eine kleine Gruppe von Frauen in Bockenheim an der Weinstraße möchte diesem Trend nicht tatenlos zusehen. Sie hat sich etwas einfallen lassen, um nicht nur ihr Gotteshaus wiederzubeleben, sondern auch ihrer Gemeinde neues Leben einzuhauchen.
An jedem zweiten Freitag im Monat bietet sie einen etwas anderen Wortgottesdienst an, der immer unter einem bestimmten Thema steht. „Dabei ist es uns wichtig, dass die Inhalte das Leben der Menschen betreffen, sie sich davon angesprochen fühlen“, betont Alexandria Pfeifer, eine der Initiatorinnen. „Dazu gehört auch eine einfache und verständliche Sprache.“
Alexandria Pfeifer ist kirchlich sehr aktiv. So engagiert sie sich etwa in der Seniorenseelsorge, als Lektorin und Sakristanin. Vor etwa eineinhalb Jahren kam sie mit Pfarrer Martin Tiator, Seelsorger der Pfarrei Heilige Elisabeth Grünstadt, nach einem Werktagsgottesdienst in Bockenheim über die immer geringer werdende Resonanz ins Gespräch. „Gerade mal zwei bis drei Leute sind da gewesen“, erinnert sie sich. Es würde sich gar nicht mehr lohnen, aufzuschließen, habe Pfarrer Tiator angemerkt und sie gefragt, ob sie einen Einfall habe, wie sich dies ändern ließe.
Kurze Zeit später beschäftigte sich der Gemeindeausschuss mit diesem Problem und der Idee, mit eigenen Themen eine Wortgottesdienstreihe anzubieten. Gemeindeausschuss-Mitglied Alexandria Pfeifer und drei weitere Frauen, die dem Gremium ebenfalls angehören, erklärten sich bereit, sich der Sache anzunehmen und schlossen sich zu einem Vorbereitungsteam zusammen. Sie alle verbindet ein gemeinsames Ziel: Sie wollen „Aufbrechen auf neuen Wegen“ – so auch der Name des neuen Formats.
Am 11. März 2022 war Premiere. Gegen Hass und Hetze im Internet lautete das Thema der Wortgottesfeier, bei dem die Frauen moderne Medien einsetzten. „Zwölf Besucherinnen und Besucher waren gekommen“, erinnert sich Regina Muth, die das Thema eingebracht hatte. 17 weitere liturgische Feiern mit unterschiedlichen Inhalten gab es bislang. Dabei reichte die Bandbreite von Krieg und Frieden über Müll bis zu der Frage, ob Beten noch zeitgemäß ist. Die Gottesdienstbesucher werden dabei auch immer mal wieder einbezogen. So waren sie beim Thema „Gehen oder bleiben – Was hält mich in der Kirche?“ dazu aufgerufen, Aussagen, die das Vorbereitungsteam zuvor zusammengetragen hatte, mit Hilfe eines Punktesystems zu bewerten. „Es bestand die Möglichkeit, bis zu drei Punkte zu vergeben, je nachdem, wie sehr die Äußerungen mit der eigenen Meinung übereinstimmte“, erläutert Alexandria Pfeifer. Die Auswertung konnten die Gemeindemitglieder noch einige Wochen im hinteren Teil der Kirche in Augenschein nehmen.
Eine Stunde dauern die Wortgottesdienste, an denen mittlerweile im Schnitt zwischen 30 und 40 Personen, auch von außerhalb der Gemeinde, teilnehmen. Im Anschluss sind die Besucher eingeladen, sich bei einem Imbiss mit Getränken im hinteren Teil der Kirche oder vor dem Gotteshaus über die Inhalte auszutauschen. Wer möchte, kann für ein Heim für Aidswaisen in Südafrika spenden.
Vorbereitet werden die liturgischen Feiern im Team. „Dabei versuchen wir, die Themen möglichst frühzeitig festzulegen. Ein Mitglied aus unserer Gruppe, das sich für ein Thema interessiert, plant dann den Gottesdienst in weiten Teilen vor“, beschreibt Regina Muth die Vorgehensweise. Etwa eine Woche vor dem Termin würden sich dann alle treffen, um das Material und die Ideen abzuklopfen. Auch konstruktive Kritik sei willkommen. „Am Ende stehen wir dann gemeinsam dahinter.“
Die Themen und die Inhalte begegnen den Frauen nach eigener Aussage im Alltag. „Manches fällt einem einfach ein, oder man bekommt einen Impuls“, berichtet Regina Muth. „Mir kommen die besten Einfälle, wenn ich im benachbarten Pfarrgarten Unkraut zupfe oder durch die Weinberge laufe“, erzählt Alexandria Pfeifer. Im nächsten Schritt schauen die Frauen gezielt nach Texten Ausschau, die zu den Themen passen – seien es Beiträge aus Büchern, Artikel, Gedichte, Meditationen oder sonstige Quellen, die Antworten geben auf die angesprochenen Probleme in der heutigen Zeit. „Und nicht zuletzt suchen wir ,Lösungen‘ aus der Bibel.“
Besonderen Wert legt das Team darauf, die Inhalte in den Gottesdiensten auf kreative Weise anschaulich darzustellen – beispielsweise mit biblischen Figuren. „Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird.“ Dieses und weitere Zitate hatte Alexandria Pfeifer in großen Lettern auf insgesamt 15 Blatt Papier ausgedruckt und vor der Messe im August zwischen den Bankreihen verteilt. Sie sollten zum Nachdenken anregen. Die Botschaft des Gottesdienstes lautete, sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einzusetzen. Und dazu gab es jede Menge Denkanstöße.
Die einzelnen Konzepte erhält Pfarrer Martin Tiator vorab vor jeder Feier. Das ist den Initiatorinnen wichtig. Geändert oder kritisiert hat er noch nie etwas. Im Gegenteil. Er bestärkt die Frauen, weiterzumachen. „Ich habe es ihnen von Anfang an zugetraut“, bekräftigt der Seelsorger. „Von Konzept zu Konzept bin ich mehr und mehr von der Vielfalt der Themen und davon, wie sie sie spirituell aufbereiten, überrascht.“ Das Team leiste damit einen wichtigen Beitrag für die Zukunft der Gemeinde. „Ich bin dankbar und stolz für das, was sie tun.“
Marita Meyer ist derzeit bereits am Thema „Lebensstufen – Lebensspuren“ für den November dran. „Mir kommen dazu morgens schon mal Gedanken, was ich dazu machen kann“, freut sie sich und hat ein Auge auf das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse geworfen. Und im Dezember möchte sich Alexandria Pfeifer mit der Frage beschäftigen, warum wir eigentlich Weihnachten feiern. (pede)