Montag, 18. September 2023
„Heißbewegt ist die Zeit“
Ein „Interview“ mit dem Pilger-Gründer Domvikar Franz Hällmeyer
Wer im ersten Jahresband des „Pilger“ von 1848 liest, ist erstaunt mit welcher Weitsicht und mit welchem Mut zentrale kirchliche, politische und gesellschaftliche Themen aufgegriffen werden. Manche Forderungen gehen weit über die Zeit hinaus. Und manche sind teilweise auch heute noch aktuell. Der Mitbegründer und erster Chefredakteur der Speyerer Bistumszeitung, Domvikar Franz Hällmeyer, war ein ausgezeichneter Journalist – mit Visionen. Wir haben zum 175-jährigen Bestehen des "Pilger" ein „Interview“ mit dem Pilger-Gründer geführt. Es gibt weitgehend wörtliche Aussagen Hällmeyers wieder.
Herr Domvikar Hällmeyer, warum gibt es den „Christlichen Pilger“ und warum gerade jetzt?
Heißbewegt ist in diesem Jahr 1848 die Zeit, doch sie scheint noch heißbewegter werden zu wollen. Da macht sich der „Pilger“ auf, seine Habe heißt Gottvertrauen, die Wehr, die er führet, ist der Glaube. Der „Pilger“ will aufklären und belehren, ermahnen und aufmuntern. Er hat jene Leser im Blick, die zum Viellesen keine Zeit haben, aber Gutes und Wahres lesen und suchen wollen. Beim „Pilger“ hat Religion auf jeden Fall das größte Interesse, aber auch um Alltägliches soll es gehen, um Holz- und Kornhandel und Weinpreise und um die Reden in den Ständekammern.
Auch sollen nach und nach alle Länder der Erde vorgeführt und – wenn auch nur im allgemeinen Umrissen – ihr Zustand in der Religion geschildert werden, wie man etwa vom Hambacher Schloss die Ebene anschaut. Durch so einen allgemeinen Überblick wird die Sache oft klarer, als wenn man sich mit vielen bloßen Einzelheiten beschäftigt.
Religionsfreiheit fordern Sie, Freiheit für die Kirche. Wie weit soll diese gehen?
Nun gut, wenn damit verstanden wird, dass sich der Staat überhaupt um keine Religion mehr kümmert, dass Jude, Heide und Christ, wie in Nordamerika, vor dem Gesetze einander völlig gleich stehen, so nehmen wir diese Religionsfreiheit gerne hin. Die katholische Kirche scheut kein Maß der Freiheit, wenn es eine wahre, ganze, allseitige Freiheit ist. Unter der Voraussetzung, dass die allgemeine Freiheit radikal garantiert ist, ist es akzeptabel, Kirche und Staat so radikal zu trennen wie in den USA.
In der Ausgabe vom 15. April kritisieren Sie die Säkularisierung der Kirchengüter vor rund 50 Jahren – und haben doch auch einmal geschrieben, darin sei „die Hand der Vorsehung“ zu sehen. Was meinen Sie damit?
Arm und frei, von nichts belastet, aus der alten reichen Hülle herausgefallen, wird die Kirche, gleichsam wie neugeboren, in die neue Zeit segnend und umgestaltend hinübergehen. Und wenn es sein müsste, würden wir auch auf die „finanzielle Hilfe“, welche der Staat leistet, verzichten. Sie ist sowieso nichts als eine sehr spärliche Abschlagszahlung an der gemachten Schuld.
Wenn Sie das Recht der Katholiken auf die Bildung von Vereinen und Organisationen einfordern, dann ist das eine Sache, aber Mitbestimmung des Kirchenvolkes bei der Besetzung von Pfarreien?
Wir haben gar nichts dagegen einzuwenden, wenn das Volk, statt der Regierung, auf die Pfarreien die Geistlichen dem Bischof vorschlägt. Auch gegen die Wahl der Bischöfe, in der Form der ersten Jahrhunderte, haben wir nichts einzuwenden. Denn dann würde alle Diplomatie gerade so aus der Kirche verbannt sein, als wie sie eben bei den Regierungen zu Schanden geworden ist. Die Geistlichen mögen dann die Bischöfe wählen, das Volk zustimmen, der Papst bestätigen.
Herr Domvikar Hällmeyer, was sind, kurz gefasst, Ihre Kernforderungen in diesen bewegten Zeiten?
Zentral ist die Religions- und Gewissensfreiheit für alle, woraus sich die bürgerliche und politische Gleichstellung aller Konfessionen von selbst ergibt. Und: Wir verlangen ein entschiedenes Eintreten zur Beseitigung der Sozialen Leiden des Volkes.
Die Fragen an Domvikar Hällmeyer stellte Norbert Rönn.