Freitag, 29. August 2025
Deutschlands Nationalhymne bietet Stoff für Diskussionen
Bundestagsvize Bodo Ramelow macht sich erneut für Brechts Kinderhymne stark
Er hat es wieder getan. In der „Rheinischen Post“ sprach sich Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow am 29. August erneut für eine Debatte über Deutschlands Nationalhymne aus. Er kenne viele Ostdeutsche, die aus vielerlei Gründen nichts von der aktuellen Nationalhymne hielten, begründete der Linken-Politiker seinen Vorstoß.
Ginge es nach Ramelow, würden die Menschen künftig „Anmut sparet nicht noch Mühe“ anstelle von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singen. Die Kinderhymne von Bertolt Brecht (1898-1956) solle „Das Lied der Deutschen“ ersetzen, das August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 zu der von Joseph Haydn komponierten Melodie „Gott erhalte Franz den Kaiser“ textete.
2019 hatte Ramelow, damals als thüringischer Ministerpräsident, schon einmal der Öffentlichkeit diesen Vorschlag unterbreitet. Neben viel Kritik - „Hände weg von unserer Nationalhymne“ - waren vor sechs Jahren auch nachdenkliche Töne zu vernehmen. „Ich könnte mir vorstellen, die Hymne ergänzen zu lassen, um eine zweite und dritte Strophe, geschrieben von zeitgenössischen Dichtern“, sagte etwa Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
Eine gewundene Geschichte
Die Deutschen und ihre Hymne, das war schon immer eine recht spezielle Geschichte. 1922 wurde das „Lied der Deutschen“ faktisch zur Nationalhymne, Reichspräsident Friedrich Ebert hob schon damals besonders die dritte Strophe von Einigkeit und Recht und Freiheit hervor. Die Nationalsozialisten sangen dagegen nur die erste Strophe „Deutschland, Deutschland, über alles“ und schlossen daran das SA-Lied „Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen“ an.
1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, herrschte zunächst einmal Funkstille. Das Grundgesetz der Bundesrepublik erwähnte die Hymnenfrage mit keinem Ton, die DDR verabschiedete sich wenig später komplett von Hoffmanns Zeilen. Den Schwebezustand im Westen - im April 1949 erklang für den deutschen Sieger eines internationalen Radrennens in Köln angeblich der im Jahr zuvor komponierte Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ - beendete 1952 schließlich ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Nach der Wende, am 19. August 1991, ergriff der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Initiative und legte in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl die Hymne auch für das wiedervereinigte Deutschland fest.
Harmonie klingt anders
Zur ganzen Geschichte gehört freilich auch die Erkenntnis, dass immer schon manche Zeitgenossen ein Problem mit dem „Lied der Deutschen“ hatten. Bereits 1884 verurteilte der Philosoph Friedrich Nietzsche den Ruf „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ als „blödsinnigste Parole der Welt“. Der Publizist Kurt Tucholsky bezeichnete den Text 1929 als großmäuliges Gedicht. „Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem - niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land.“
Trotzdem: Die ersten Reaktionen auf Ramelows Einlassungen klingen eher verstimmt. Diese seien absurd und zeigten, dass die Linke mit Deutschland nichts anfangen könne, sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber der „Bild“-Zeitung. Aus Sicht von Historiker Clemens Escher handelt es sich bei Ramelows Vorstoß um „die feuilletonistisch-politische Entsprechung zu den Sommerlochtieren im Boulevard“. Brechts schönes Gedicht von 1950 habe nicht das gleiche Schicksal wie die Fake-Alligatoren am Baggersee oder die Pseudo-Großkatzen am Rande der Stadt verdient, die für gewöhnlich die Sommerlöcher füllten, sagte Historiker Escher der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Zeitlose Zeilen
Für den Autor des Buches „,Deutschland, Deutschland, Du mein Alles!' Die Deutschen auf der Suche nach ihrer Nationalhymne 1949-1952“ steht fest: „Die notorische Forderung ,Kinderhymne soll Nationalhymne werden!' ist intellektuelle Wolkenschieberei“. Die Trias „Einigkeit und Recht und Freiheit“ bleibe zeitlos. (Joachim Heinz, kna)