Mittwoch, 06. November 2013
Vor allem sinkende Reallöhne sind die Ursache
„Allianz gegen Altersarmut“ beschäftigt sich mit Problemen und Perspektiven der sozialen Sicherung
Schreckensszenario Altersarmut – seit Jahren geistert es durch den Blätterwald, erhitzt die Gemüter und schürt die Angst vor der Zukunft. Alles nur Panikmache oder berechtigte Befürchtung? Dieser Frage nahm sich die „Allianz gegen Altersarmut“ an und lud am 30. Oktober ins Edith-Stein-Haus Kaiserlautern zu dem Vortrag „Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung“ ein. Ein Thema, zu dem Gastredner Dr. Christoph Butterwegge, Rentenkritiker, Armutsforscher und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln, Aufschlussreiches zu sagen hatte.
„Die Angst vor Armut im Alter macht sich breit. Sie ist berechtigt und nachvollziehbar“, eröffnete Hans Mathieu seine Begrüßungsrede. Er ist Sprecher der „Allianz gegen Altersarmut“, die sich 2010 aus dem Katholikenrat der Diözese Speyer, kirchlichen, gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Institutionen gegründet hat. „Aber sie wird auch gezielt geschürt von finanzgesteuerten Meinungsmachern“, fuhr Mathieu fort. „Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Medienkampagnen der Lobbyisten zu entlarven.“ Mathieu warf der Regierung Versagen vor, indem sie eine Reformwelle nach der anderen starte, deren Auswirkungen nicht absehbar seien. „Unser Interesse gilt Fakten und nicht politischen Legenden“, sagte er und verwies damit auf die demografische Entwicklung, die von der Politik als „Totschlagargument für Altersarmut missbraucht wird.“
Ein Aspekt, den Christoph Butterwegge in seinem anschließenden Referat aufgriff. „Die erwarteten Rentenüberschüsse sind enorm. Aber sie werden nicht ausgeschüttet, sondern sammeln sich im System. Das heißt, die Dinge bewegen sich nicht in die richtige Richtung“, kritisierte er, bevor er einen Abstecher in die Geschichte der Rentenpolitik unternahm. „Mit der Rentenreform 1957 baute Adenauer Altersarmut ab, indem das Rentensystem auf die dynamische Altersrente umgestellt wurde. Unter Willi Brandt wurde die flexible Altersrente eingeführt. Männer konnten mit 63, Frauen mit 60 Jahren in Rente gehen. Eine Reform zum Wohle der Menschen. Wieso war das damals möglich und ist es heute nicht mehr?“
Die Antwort darauf lieferte er gleich selbst mit einer provokanten These. „Die Altersarmut wird in unserem Land bewusst lanciert, um die Menschen den Gesetzen der leistungsorientierten Gesellschaft zu unterwerfen.“ So werde seit der 1989 beschlossenen und 1992 eingeführten Rentenreform die Lebensstandardsicherung systematisch abgebaut. Dabei benutze die Politik die demografische Entwicklung nicht nur als Erklärung, sondern handele sie gar als naturgesetzlichen Prozess, so Butterwegge. Eine bewusste Irreführung, denn in Wirklichkeit beruhe die drohende Verarmung älterer Menschen vor allem auf sinkenden Reallöhnen, dem expansiven Niedriglohnsektor und einer falsche Rentenpolitik. Die Rente mit 67 entlarvte er als schlichte Rentenkürzung.
Die Riester-Reform und die Aufforderung zur privaten Absicherung führten in erster Linie dazu, „der Assekuranz ein neues Verdienstfeld zu eröffnen.“ Die bessere und einzig sinnvolle Alternative sieht er in der Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Zumal es Aufgabe des Staats sei, dafür zu sorgen, dass die Bürger ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. „Der gesellschaftliche Reichtum ist gestiegen, wird aber nicht gerecht auf die Menschen verteilt, die ihn erwirtschaftet haben.“ Altersarmut sei also nicht ein Problem der Generationen, die Scheidelinie verlaufe vielmehr zwischen Arm und Reich. „Wir müssen in unserer Gesellschaft das Gerechtigkeitsempfinden neu erlernen“, konstatierte der Politikwissenschaftler und kritisierte in diesem Zusammenhang, dass „Gewerkschaften und Kirchen nicht laut genug ihr Wort gegen die Einführung von Harz IV und Ein-Euro-Jobs erhoben haben.“
Weiterhin appellierte der Professor an Politik und Gesellschaft, mehr Solidarität und Verantwortungsgefühl älteren Menschen gegenüber an den Tag zu legen, anstatt sie nur als Kostenfaktor auf zwei Beinen zu sehen. Ein Umdenken und mehr Auflehnung gegen die Demontage des Sozialstaats seien nötig, damit Deutschland nicht zu einem „Almosen- und Suppenstaat“ verkomme. „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“, hielt Butterwegge es in seinem Schlusssatz mit Berthold Brecht, bevor er sich Fragen aus dem Publikum stellte. (red)