Freitag, 03. Juni 2022
Spurensuche an Pfingsten
Ein Tag für unsere Lebens-Geschichten
Würden Sie gerne an Pfingsten Lektorin oder Lektor sein? Mesopotamien, Kappadokien, Phrygien und Pamphylien.... Jedes Jahr ist diese Lesung mit den vielen fremden Namen eine Herausforderung für alle, die am Ambo, am Lesepult in der Kirche stehen. Und ohnehin tun wir uns in der Kirche nicht leicht mit dem Pfingstfest. Der Heilige Geist scheint schwer zu fassen. Maria, Jesus und „der liebe Gott“ sind da zugänglicher. Aber vielleicht ist es einfacher, als wir glauben. Gehen wir auf Spurensuche!
Der Geist Gottes begegnet uns schon ganz am Anfang der Geschichte des Menschen in den ersten Kapiteln der Bibel: da formt Gott den Menschen aus einem Klumpen Ackerboden. Der Ackerboden, die adama, gibt dem Mensch seinen Namen: Adam, der Erdling. Wir sind mit der Erde verbunden und von ihr abhängig – ohne Erde kein Erdling. Das Leben aber bekommen wir dadurch, dass Gott uns seinen Atem einhaucht: „Gott blies in seine Nase den
Lebensatem“. Ein beeindruckendes Bild: ich stelle mir vor, wie das Leben in mich hineinströmt. Ich werde inspiriert, beseelt. Das Leben füllt meine Lungen und erfüllt mich. Ich atme, ich lebe. Das ist so einfach und so grundlegend: Gott will, dass ich lebe. Gott will, dass ich bin. Das ist die Spur des Heiligen Geistes.
Dieser Spur kann ich folgen und mir einfache Fragen stellen: Wann war ich lebendig? Wo habe ich Energie und Kraft gespürt? Wo erlebe ich Gemeinschaft?
Persönlich denke ich zurück an einen Kindergottesdienst in meiner Wörther Heimatgemeinde. Damals war ich sechs oder sieben Jahre alt. Bei einem der Lieder habe ich eine Rassel in die Hand bekommen und irgendwie hat beim Singen und Rasseln alles vibriert. Ich habe etwas Lebendiges gespürt. Eine Spur des Lebens, eine Spur des Heiligen Geistes? Ja, warum nicht. Ich denke an Lagerfeuerabende beim Zelten mit der Jugend, an Freundschaften, die damals entstanden sind, und an Freundschaften, die im Lauf des Lebens dazu kamen. Eine Spur des Heiligen Geistes? Ja, natürlich! Ich denke an den Sommerduft von Harz und Sand im Pfälzer Wald und an Ausblicke auf die Gipfel der Alpen. Überwältigend!
Es gibt noch viele weitere, unzählige Spuren dieses Schöpfergeistes. Sie zeichnen sich ein in unsere Lebens-Geschichten. Jede und jeder hat seine eigene. Vielleicht ist Pfingsten der Tag, an dem wir uns gegenseitig unsere Lebens-Geschichten erzählen sollten. Vielleicht haben das auch die Jünger Jesu gemacht: Gottes große Taten – in einer Sprache, die sie selbst und die die Menschen verstehen konnten.
Die Fragen nach dem Leben klingen zwar einfach, aber die Antworten können auch beunruhigen. Schnell wird entlarvt, was nicht lebendig ist. Schnell wird mir klar, dass etwas in meinem Beruf nicht stimmt, wenn ich über Monate kraftlos und müde bei der Arbeit bin. Schnell wird mir klar, dass in meiner Beziehung etwas nicht passt, wenn wir zwei nur noch nebeneinander und nicht mehr miteinander leben. Schnell und ohne große Theologie spüre ich, wo meine Kirche kraftvoll und lebendig ist – und wo nicht. Wenn etwas gestorben ist, merke ich das: Es wird furchtbar anstrengend, weil sich das Leben schon verabschiedet hat.
Ist dann alles vorbei? Muss ich dann alles hinschmeißen? Nein. Aber in solchen Zeiten der Spur des Lebens zu folgen, bedeutet, den Tod anzuerkennen. Es bedeutet, sich von dem zu trennen, was bereits gestorben ist. Das gilt für mein persönliches Leben genauso wie für unsere Kirche. Leicht gesagt. Abschiede sind schwer. Sie machen Angst. Sie tun weh. Sie bedeuten Veränderung. Kann ich dem Leben im Tod trauen? Ist im Tod das Leben? Geheimnis unseres Glaubens?
Der Schöpfergeist ermutigt mich, diesem Geheimnis zu trauen. Wie radikal der Abschied aussehen muss, ist offen. Ich darf die abgestorbenen Lebensschichten abtragen, bis ich erlebe: das Leben strömt wieder in mich hinein, es füllt meine Lunge. Ich atme, ich lebe. Gott will, dass ich lebe. Das ist die Spur des Heiligen Geistes. „Friede sei mit euch!“ sagt der gestorbene und auferstandene Jesus. Dann hauchte er seine Freunde an und sagte zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist!“ (Nico Körber)