Donnerstag, 06. September 2012
„Viele Probleme sind hausgemacht“

Thomas von Mitschke-Collande konfrontiert die katholischen Kirche mit einigen kritischen Einschätzungen.
Ein Unternehmensberater will der Kirche aus ihrer Krise helfen
Nein, ein katholischer Thilo Sarrazin wolle er nicht sein, wehrt Thomas von Mitschke-Collande ab. Doch mancher wird ihn wohl in die Schublade eines gewerbsmäßigen Provokateurs stecken, wenn am 3. September sein neues Buch in den Handel kommt: „Schafft sich die katholische Kirche ab?“ Wenigstens ein Fragezeichen hat der Verlag im Titel belassen.
Als Unternehmensberater und engagierter Christ analysiert der 62-jährige Tutzinger die Stärken und Schwächen der Firma Gott&Sohn in ihrer römisch-katholischen Ausprägung. Von Mitschke-Collande ist nicht irgendein Experte. Für McKinsey hat er mehrere deutsche Diözesen beraten und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz bei dessen Neuorganisation begleitet.
Konferenzvorsitzender war damals der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, der dem „aufrüttelnden Buch“ nun im Vorwort „viele aufmerksame Leser“ wünscht – trotz der einen oder anderen Zuspitzung, „die manchen vielleicht ein Ärgernis bereitet“. Wie würde ein Konzern reagieren, wenn ihm seine Kunden davonlaufen und die Mitarbeiter zunehmend frustriert sind? Aus dieser Perspektive heraus bereitet der Autor sein Datenmaterial auf, das er aus amtlichen Statistiken wie aus Meinungsumfragen gewonnen hat.
Gleich sechsfach sieht von Mitschke-Collande die Kirche in der Krise: Glaube sei nicht mehr „in“, der Institution und zunehmend auch ihren einzelnen Vertretern schlage immer mehr Misstrauen entgegen, der Autoritätsverfall sei grassierend, die Auswahl des Führungspersonals lasse zu wünschen übrig, die Organisationsprinzipien seien überholt, Bindungsfähigkeit und Attraktivität der Kirche erlahmt. Und die meisten dieser Probleme, denen jeweils ein ganzes Kapitel gewidmet ist, seien „hausgemacht“.
In einer Firma würde in einer solchen Lage längst eine Krisensitzung die andere jagen, wundert sich der Unternehmensberater. In der Kirche sieht er dagegen bisher nur Mangelverwaltung und „bürokratisches Down-Sizing“ am Werk.
Die Einzelbefunde sind nicht neu, doch in ihrer Zusammenschau und Verlängerung in die Zukunft ergeben sie ein drastisches Bild. So wird sich unter den gegebenen Bedingungen die Zahl der aktiven Priester in den nächsten 20 Jahren in Deutschland noch einmal von derzeit 15000 auf rund 7000 mehr als halbieren. Schon aus diesem Grund sieht von Mitschke-Collande keine Alternative zu neuen Formen von Gemeindeleitung.
Interessant ist, wo sich der Autor in der aktuellen Debatte einsortiert. Klar positioniert er sich im Lager der Reformer, ohne allerdings in den dort beliebten Forderungen nach Abschaffung des Zölibats oder der Ordination von Frauen gleichsam Allheilmittel zu sehen. Auch redet er keiner „Basiskirche“ oder „Demokratisierung“ das Wort. Eine Protestantisierung oder eine Anbiederung an den Zeitgeist wolle er nicht, wehrt er erwartbare Kritik ab.
Mehrfach nimmt der Unternehmensberater auf die Freiburger Rede von Papst Benedikt XVI. Bezug, dessen Kritik an einer überorganisierten Kirche in Deutschland positiv aufgreifend. Und den von konservativen Katholiken auf den Weg gebrachten Jugendkatechismus „Youcat“ hält er allein schon wegen des Mutes zu einer einfacheren Sprache für vorbildlich.
Mit dem Stichwort „Lösungen“ im Untertitel verspricht das Buch zu viel. Denn Patentrezepte für einen „Turnaround“ enthält es nicht. Wo müssten die Reformen anfangen? Beim Selbstverständnis, so von Mitschke-Collande. Die Kirche müsse dazu mental „auf den Kopf gestellt“ werden. Aus einer Institution, die vielen oberlehrerhaft und auf Moralfragen fixiert vorkomme, müsse eine „dienende, hörende, helfende, lernende Kirche“ werden.
Eine solche Vision bedeute indes nicht, gleich alle Kompetenzen und Hierarchien infrage zu stellen, erläutert der Autor. Und richtet an den einzelnen Katholiken die Botschaft: „Frage nicht, was die Kirche für dich getan hat, sondern was du für die Kirche, den Glauben tust.“
Das Buch „Schafft sich die katholische Kirche ab?“ von Thomas von Mitschke-Collande ist im Kösel-Verlag, München, erschienen.







































