Mittwoch, 09. Dezember 2020
Versöhnung in weiter Ferne
Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht (oder besser: sieht) hin.
Sechs Wochen lang haben Aserbeidschan und Armenien einen blutigen, erbitterten Kampf um Berg Karabach geführt, doch Europa hat systematisch weggesehen. Nach mehreren gescheiterten Versuchen hat jüngst ein Waffenstillstandsabkommen den Krieg um die Region, die völkerrechtlich zu Aserbeidschan gehört, aber seit 1994 von Armenien besetzt gehalten wurde, beendet. Das Ergebnis des Abkommens wird in Aserbeidschan gefeiert, während es in Armenien pures Entsetzen sowie heftige Proteste und Demonstrationen auslöst. Der Grund: Armenien muss viele Gebiete, die seine Armee vor 30 Jahren erobert hatte, an Aserbeidschan zurückgeben.
Wie so oft wurde in dem schrecklichen Krieg auch wieder die Religion instrumentalisiert: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sich als Vorkämpfer und Schutzherr der Muslime versteht, griff mit türkischen Militärberatern, syrischen Söldnern und massiven Waffenlieferungen entscheidend auf Seiten des muslimischen Aserbeidschan ein. Das christlich geprägte Armenien dagegen, das fest auf die Unterstützung des Westens gebaut hatte, fühlt sich im Stich gelassen, ja viele Armenier ziehen sogar Vergleiche mit dem von den Türken begangenen Genozid des Jahres 1915. Besonders empörend: Die Waffen in diesem Konflikt stammten zu einem großen Teil aus Deutschland.
Dass der Waffenstillstand momentan ausgerechnet von russischen Friedenstruppen gesichert wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Eine Versöhnung zwischen den beiden Völkern scheint jedenfalls in weiter Ferne. Papst Franziskus, der regelmäßig flammende Appelle gegen die Kriege auf dieser Welt hält, hat völlig recht: Gerade in Corona-Zeiten ist dieser Wahnsinn überflüssiger denn je.