Mittwoch, 22. Februar 2023
Alles nur geklaut?

Vitrine mit Alltagsgegenständen aus Afrika im Missionsmuseum der Erzabtei St. Ottilien. (Foto: Missionsmuseum Erzabtei St. Ottilien/Cassian Jakobs)
Ein Projekt soll missionsgeschichtliche Sammlungen erforschen
Viele Ausstellungsstücke in Museen sind Raubkunst aus ehemaligen Kolonien. Doch wie steht es mit Kulturgütern, die Missionare von ihren Einsätzen in ihre Heimat mitgebracht haben?
Die Situation ist problematisch. Nicht weil die Herkunft der missionskundlichen Sammlungen im Besitz deutscher Ordensgemeinschaften zweifelhaft wäre. Sondern weil vielen Orden mittlerweile das Personal ausgeht, sich angemessen um die Bestände zu kümmern. Im katholischen Bereich gibt es derzeit gut 50 Sammlungen – „noch“, fügt Markus A. Scholz hinzu. Der Historiker und Ethnologe ist verantwortlich für das Projekt Missionsgeschichtliche Sammlungen des Instituts für Weltkirche und Mission an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Seit Mai 2022 befasst sich die zunächst auf zwei Jahre angelegte Untersuchung mit den Objekten, die Missionarinnen und Missionare im 19. und 20. Jahrhundert mit nach Deutschland gebracht haben.
Es sind kleine Sammlungen „mit nur ein paar Dutzend oder hundert Stücken“, sagt Scholz, bis hin zu großen Ausstellungen wie etwa der des Missionsmuseums der Erzabtei St. Ottilien, das Alltagsgegenstände, Kleidung, Schmuck, Waffen Musikinstrumente oder sogar Tierpräparate präsentiert.
Viele Sammlungen sind gar nicht oder nur auf Anfrage zu besichtigen; einige sind aufgelöst und anderen Museen übergeben worden. Mehrere Ausstellungen befinden sich, wie Scholz es ausdrückt, „im Schwebezustand“; ihre Schließung ist beschlossen, doch die weitere Verwendung der Sammlungen ist unklar. Viele Sammlungen zeigen ein überholtes Verständnis von Mission, mit dem sich die Orden längst nicht mehr identifizieren.
Die Geschichte der Sammlungen in Deutschland beginnt nicht erst mit der Kolonialzeit. Die Missionare der Herrnhuter Brüdergemeine etwa schickten schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Stücke nach Hause. „Sie bildeten dort dann zunächst ein Anhängsel an die Bibliothek und waren dafür gedacht, den künftigen Missionaren Anschauungsmaterial zu liefern für die fremden Natur- und Kulturräume, die sie erwarteten“, erläutert Scholz. Als im 19. Jahrhundert Kolonialausstellungen und Völkerschauen großen Zulauf erlebten, bauten Orden und Missionsgesellschaften eigene Ausstellungen auf, um die Menschen für ihre Arbeit zu interessieren. Und um Spenden einzuwerben – und womöglich auch junge Leute für einen Einsatz in der Mission zu begeistern. Nebenbei, fügt Scholz hinzu, „wurde durch die Ausstellungen eine Menge Wissen über die außereuropäische Welt vermittelt“.
Überwiegend Alltagsgegenstände
Und wie sind die Missionare in den Besitz der Objekte gekommen? Markus A. Scholz kann derzeit noch keine endgültige Einschätzung abgeben. Zwar hält er die Herkunft der Objekte in den Sammlungen nach bisherigen Erkenntnissen für „unproblematisch“, weil es sich überwiegend um Alltagsgegenstände handele. Probleme könnten seiner Ansicht nach bei Gegenständen auftauchen, die Indigene zu religiösen und rituellen Zwecken benutzt haben – nicht ganz auszuschließen, dass Nachfahren deren Ausstellung ablehnen oder die Rückgabe fordern könnten.
Die Klärung der Herkunft von Ausstellungsstücken ist oft nicht einfach – und nicht billig. Scholz hofft, dass im Rahmen des laufenden Projekts und in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Museumsverband und dem Landesmuseum Wiesbaden demnächst zwei hessische missionsgeschichtliche Sammlungen unter die Lupe genommen werden können. Und dass sich weitere Ordensgemeinschaften bei ihm melden, die ihre Bestände erforschen lassen wollen. (Hubertus Büker)
Stichwort Kolonien
Seit den 1880er Jahren hat das Deutschen Reich Kolonien erworben und nach dem Ersten Weltkrieg gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 wieder abgetreten. Unter deutscher Herrschaft standen: 1884 Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia); 1884 Togoland (das heutige Togo und Teile des östlichen Ghana); 1884 Kamerun (das heutige Kamerun und kleinere Gebietsteile der heutigen Staaten Nigeria, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Republik Kongo und Gabun); 1885 Deutsch-Ostafrika (das heutige Tansania und kleinere Gebietsteile der heutigen Staaten Ruanda, Burundi und Mosambik); 1885 Deutsch-Neuguinea (Teile des heutigen Papua-Neuguinea, die heutigen Marshallinseln, Teile der heutigen Salomonen, Nördliche Marianen, Palauinseln und Mikronesien); 1898 Kiautschou (heute Teil der Volksrepublik China) und 1900 Deutsche Samoa-Inseln (das heutige Samoa).