Freitag, 20. August 2021
Wollt auch ihr gehen?

Jesus Christus, einsam und verlassen im Schmerz. Bild von Albrecht Dürer (1471 bis 1528), um 1493. Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe. (Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)
Eine diffuse Gläubigkeit reicht nicht für‘s Christsein
Auf einen ersten Blick scheint ja dieses Bild nicht so recht zum Evangelium vom heutigen Sonntag zu passen: Jesus, der „Schmerzensmann“ vor der Grabhöhle, wie Albrecht Dürer ihn um 1493 malte, mit der klaffenden Wunde in der Seite, dem Blut überall, der Dornenkrone, der Rute, der Geisel, einsam und verlassen in seinem Leiden. Sein Gesicht, zu Tode betrübt, seine unendlich traurigen Augen, die ins Leere gehen. Sie treffen die, die vor dem Bild stehen, mitten ins Herz, und fragen: Geht auch ihr? Damit aber sind wir mitten in unserem Evangelium: Dieses schreckliche Ende, wie es das Bild zeigt, bahnt sich hier an.
Zuerst war es für die Jünger – die Jüngerinnen werden nicht erwähnt – wohl ein prickelndes Abenteuer, mit Jesus umher zu ziehen. Vermutlich haben sie seine großen Auftritte genossen, die Massen, die herbei strömten, wenn er kam, die Bewunderung, die ihm entgegenschlug. Und natürlich haben sie Großes für sich selbst erwartet. Was nicht so passte, werden sie tunlichst ausgeblendet, Fragen nicht gestellt, Zweifel verdrängt haben. Die Welle des Erfolgs trug sie ja so schön: Sie waren „oben“. Doch dann, als es ans „Eingemachte“ geht, wendet sich das Blatt: Sie spüren den hohen Anspruch Jesu, der – gelinde gesagt – unbequem ist, unpopulär, eine einzige Provokation, die Gegenwind und Widerstand verheißt und kein gutes Ende. Das Raunen und Murren der Jünger wird laut und lauter, und viele bleiben einfach weg.
Gewiss, Jesu Worte wiegen schwer: „Ich bin das Brot des Lebens.“ „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.“ „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.“ Viele seiner Jünger begehren auf: „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ Doch so anstößig sie auch ist, weit mehr noch ist es sein Anspruch, als „echter“ Mensch zugleich Gottes Sohn zu sein, also Gott selbst: Ewiges Leben zusprechen und auferwecken, das kann nur Gott. Mit seinem „Ich“ setzt Jesus sich mit Gott in eins. Alle hören darin sofort die Selbstoffenbarung Gottes vor Mose mit: „Ich bin, der ich bin“ (Buch Exodus 3,14). Und Jesus untermauert dies noch mit seiner Frage, was sie wohl erst sagen werden, wenn sie den Menschensohn aufsteigen sehen, dorthin, wo er vorher war. Und dass Gott auch noch sein Fleisch und sein Blut gibt, dass er ganz und gar Mensch wird und sein Leben opfert, das ist völlig undenkbar, ja, unerträglich.
Dies alles übersteigt die Glaubenskraft der Jünger, und das ist ihre Glaubenskrise, ihre Glaubensnot. Sie denken nicht über ihre eng beschränkte, irdische Welt hinaus, sie bleiben in der nur rein rational fassbaren Wirklichkeit, sie kreisen letztlich um sich selbst. Das ist das Fleisch, das nichts nützt. Darin ist es nicht möglich, zu glauben. Denn glauben überschreitet das Irdische ins Himmlische hinein. Das ist der Geist, der lebendig macht. Den müssen die Jünger noch annehmen und in sich einlassen, indem sie Jesu Worte, die Geist und Leben sind, nicht nur hören, sondern in sich einlassen, damit sie ihr irdisches Leben durchdringen. Die Worte nur zu hören, birgt die Gefahr, dass die Worte einfach abperlen und wirkungslos bleiben, wie die Samen, die auf Felsen fallen oder ins sie erstickende Gestrüpp. Jesu Worte aber wollen aufgehen, fruchten, wirken – lebendig machen. Gewiss, die Jünger sind Jesus gefolgt, haben dafür wohl auch einiges aufgegeben, äußerlich, wie sich jetzt zeigt. Innerlich aber sind sie dem Irdischen verhaftet geblieben und haben sich nicht so weit von ihren Sicherheiten entfernt oder sie ganz losgelassen. Letztlich erwarten sie von Jesus doch auch wieder Sicherheiten, erste Plätze, Ämter, Posten.
Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm. Nicht nur einige, sondern viele: Wenn nur die Zwölf übrig blieben, war der Schwund gewaltig, ein Massenabfall. Ob sie nun auch gehen wollen, fragt Jesus. Und Petrus antwortet: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ Das ist das Credo des harten Kerns. Und das Credo der Gemeinde, der Kirche. Ausgerechnet Petrus – den Jesus öfter auch scharf des Unglaubens tadeln muss und der am bitteren Ende genauso wegläuft, ja, ihn verleugnet, bekennt scheinbar unerschütterlich den Glauben.
Dieses Evangelium ist ein „Lehrstück“ für die Gemeinde, für die Kirche, für alle, die es jeweils jetzt hören – für uns: Gewiss, diese Provokationen, diese Ärgernisse spielen heute kaum eine Rolle. Anderes lässt Jüngerinnen und Jünger weglaufen, aber es sind ebenfalls viele. Da wird dieses Bild vom verlassenen, traurigen Jesus aktuell: „Wollt auch ihr gehen?“ Zu sagen, dass wir bleiben, reicht nicht. Eine weichgespülte, verschwommene Gläubigkeit hilft niemandem. Davon haben wir schon mehr als genug. Vielmehr kommt es darauf an, uns dieses Credo mit all den Provokationen zu eigen zu machen und diesen Glauben zu bezeugen, ja, ihn sichtbar zu leben. Anders gesagt: In unseren Herzen Jesus Christus Raum zu geben und stets jedem Rede und Antwort zu stehen von der Hoffnung, die uns erfüllt – für uns, für unsere Mitmenschen, für diese Zeit und diese Welt.(Klaus Haarlammert)