Mittwoch, 01. September 2021
Jesus Christus will auch uns öffnen

Walter Habdank, „Heilung des Taubstummen“, Ausschnitt eines Druckes, Holzschnitt von 1979. Ausdrucksstark hat der Künstler die Begegnung zwischen Jesus und dem Kranken und das heilende Geschehen dargestellt. (Foto: Galerie Habdank, Berg am Starberger See)
Unsere Ohren und Augen, unseren Mund. Unser Herz
Jesus ist unterwegs und reist in das Gebiet der zehn Städte, also östlich des Jordans. Ein Ortsname wird nicht genannt, wir wissen nur, da irgendwo mittendrin kommt er in ein Dorf und dort begegnet ihm ein Taubstummer. Die Leute bringen ihn zu Jesus. Sie haben von seinen Wundertaten gehört und wollen nun sehen, was er mit dem Taubstummen anfängt.
Taub zu sein vor zweitausend Jahren, das war bestimmt ein hartes Schicksal. Ich möchte es mir lieber nicht vorstellen: Einsam und isoliert in einem Dorf zu sein, von anderen Menschen als Außenseiter beäugt und, da der Sprache nicht mächtig, vermutlich auf eine Ebene mit Tieren gestellt. Taubstumme hatten damals keine oder nur wenige Rechte. Sie durften nicht heiraten, konnten keinen richtigen Beruf erlernen und sogar die Teilnahme am Gottesdienst blieb ihnen lange Zeit verwehrt, denn sie galten als bildungs- und kommunikationsunfähig. Gehörlosenschulen gibt es erst seit rund zweihundert Jahren, um 1850 gründeten sich erste Gehörlosenvereine und viel später entstanden daraus Gemeinden mit ausgebildeten Gehörlosenpfarrern.
Das vorliegende Evangelium erzählt von dem Wunder, das Jesus vollbringt. Er steckte seine Finger in die Ohren des Taubstummen, strich Speichel auf die Zunge und sprach das bekannte Wort „Effata“, was übersetzt heißt: „Öffne Dich“. Sogleich konnte der Taubstumme wieder hören und sprechen. Die Leute staunten über dieses große Wunder und erzählten es überall herum, trotz Jesu Schweigegebot. Sie waren so begeistert, dass sie einfach darüber sprechen mussten. Der Taubstumme konnte wieder hören und sprechen. Eine unglaubliche Geschichte, ein unfassbares Wunder.
Aber grundsätzlich ist für mich das Wunder in diesem Gleichnis gar nicht so wichtig – viel wichtiger ist mir eine Geste Jesu, nämlich die des „Beiseitenehmens“.
Ganz am Anfang, als die vielen Menschen den Taubstummen zu Jesus bringen und die Aufregung, das Gedränge groß ist, mitten in diesem Durcheinander also, da nimmt Jesus den Taubstummen beiseite und führt ihn ein Stück von der Menge fort, an einen Ort, wo Ruhe ist und Verständigung möglich.
Für mich ist das der Punkt in der Geschichte, wo ich gerne in die Rolle des Taubstummen schlüpfen würde, eben noch vor dem großen Wunder. Denn Jesus will der Heilung, die er da vollbringt, keine Öffentlichkeit geben. Ebenso wenig will er, dass sein Wort im Stimmengewirr und Gerede der Umgebung untergeht. Das Wort Gottes bedarf der Stille, um als Wort angenommen zu werden, das heilt, das aussöhnt und die Kommunikation wieder möglich macht.
Und ich stelle mir gerne vor, wie es ist, von Jesus beiseite genommen zu werden und Gelegenheit zu haben, mit ihm in Ruhe zu sitzen und zu reden. Was hätte ich ihm zu sagen?
Außerdem hebt das Evangelium zwei weitere Gesten Jesu hervor: Er berührt die Ohren und die Zunge des Taubstummen. Um eine Beziehung mit jenem in der Kommunikation „blockierten“ Mann aufzubauen, versucht Jesus als erstes, einen Kontakt herzustellen. Jesus fleht dafür seinen Vater um Hilfe an, indem er zum Himmel blickt und dabei sagt: »Öffne dich!« Und so öffnen sich die Ohren des Tauben, seine Zunge wird frei und er beginnt verständlich zu reden. Hier wird deutlich: Gott ist nicht in sich selbst verschlossen, sondern er öffnet sich und tritt mit uns Menschen in Kommunikation.Diese Worte des Evangeliums sprechen mich in besonderer Weise an: Denn sehr oft bin ich zu sehr auf mich selbst konzentriert, in mir verschlossen. Sogar die elementarsten zwischenmenschlichen Beziehungen schaffen dann bisweilen Gegebenheiten, die mich zu einer gegenseitigen Öffnung unfähig machen. Wie hilfreich kann da das Wort Jesu sein: »Effata! – Öffne dich!« Und das Wunder ist vollbracht: Ich werde von der Taubheit des Egoismus und von der Stummheit des Verschlossenseins befreit. Ich kann Gott hören, der zu mir spricht.
Auch an dieser Stelle schlüpfe ich gerne in die Rolle des Taubstummen: Es ist so schön zu erfahren, wie liebevoll mich Jesus als Menschen behandelt, so ermutigend. Danke Jesus, dass Du mich so liebst und annimmst, wie ich bin und mir ab und an aufzeigst, wann ich möglicherweise noch „taub“ oder „stumm“ bin. Luise Gruender