Donnerstag, 16. Dezember 2021
Die EU darf nicht tatenlos zusehen
Caritas International fordert Hilfe für die Migranten an der Grenze zwischen Belarus und Polen
Noch immer harren knapp 2000 Migranten an der Grenze zwischen Belarus und Polen aus. Die Kälte verschlimmert ihre Not. Oliver Müller, der Leiter von Caritas International, erklärt, was jetzt passieren muss.
Die Nachrichten, die Oliver Müller aus Polen und Belarus bekommt, machen ihm Sorgen. Der Leiter von Caritas International hört von Migranten, die aus Lagern in Belarus aufgebrochen sind und im Niemandsland campieren oder versuchen, die Grenze ins EU-Land Polen zu überqueren. Sie sind schlecht ernährt und erkältet. Sie können sich nicht waschen, einige leiden an unbehandelten Krankheiten. Jetzt kommt noch der Winter. Mehrere Menschen sind schon gestorben, darunter ein einjähriges Kind.
„Es kann und darf nicht sein, dass Menschen im Jahr 2021 im Wald zwischen Polen und Belarus erfrieren“, sagt Müller. „Dieser Tragödie darf die EU nicht tatenlos zusehen.“ Inakzeptabel findet er die Sicherheitszone, die Polen an der Grenze errichtet hat: „Es bräuchte humanitäre Korridore, damit Hilfsorganisationen ungehindert zu den Migranten durchdringen und helfen können.“ Müller verurteilt, „dass Migranten, die eindeutig schon auf polnischem Staatsgebiet waren, wieder zurückgetrieben worden sind. Das geht nicht. Polen muss diesen Migranten ein faires Asylverfahren gewähren. Polen muss die Menschen mit den Rechten ausstatten, die ihnen zustehen.“
„Hier müssen definitiv die humanitären Bedürfnisse im Vordergrund stehen“
Müller betont, die Schuld für das Problem liege eindeutig beim belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, der Migranten ins Land gelockt und Richtung Grenze gebracht hat, um Druck auf die EU aufzubauen. „Die EU sollte dem erpresserischen Regime in Belarus mit Sanktionen gegenübertreten und Schleuser bestrafen. Sie sollte klarmachen, dass sie kein Spielball skrupelloser Machthaber ist“, sagt der Chef von Caritas International. „Aber hier müssen definitiv die humanitären Bedürfnisse der Betroffenen im Vordergrund stehen.“ Man dürfe „den Konflikt nicht auf dem Rücken der Betroffenen austragen“. Die EU müsse zumindest besonders verletzliche Personengruppen, etwa Familien mit Kindern, aufnehmen. Mehrere EU-Staaten sollten sich dazu bereiterklären: „Deutschland muss hier vorangehen und einen Teil dieser gestrandeten Menschen aufnehmen.“
Es seien nur knapp 2000 Migranten, die Hilfe brauchen, sagt Müller. „Diese wenigen tausend Menschen werden Polen nicht vor ernsthafte Probleme stellen und die EU schon gar nicht.“ Er kritisiert: „Hier mangelt es schlicht am politischen Willen, Menschen in Not beizustehen.“
Vorerst hilft die Caritas Polen, so gut sie kann. Sie hat in 16 Kommunen nahe der Sicherheitszone Zelte der Hoffnung aufgebaut, in denen sie Migranten, die es dorthin schaffen, mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Kleidung und Decken versorgt. Zudem liefert sie Hilfspakete an Mitglieder des Grenzschutzes und an die Gemeinden in der Sicherheitszone – und vertraut darauf, dass die dann auch wirklich bei den Migranten ankommen.
Die Caritas und die Bischofskonferenz in Polen haben betont, dass Helfer Zugang zu den Flüchtlingen brauchen. Das sei bemerkenswert, sagt Müller. Beide seien wichtige Akteure in der Gesellschaft. „Wenn die Kirche ihren Kurs fortsetzt und sich damit anders als in der Vergangenheit von der Regierung abgrenzt, könnte das etwas bewegen.“ (Andreas Lesch)