Freitag, 21. Januar 2022
Immer ist heute

In der Zuwendung zum anderen Menschen – zu Kranken, Bedürftigen und Alten gleichermaßen – liegt auch heute das Heil. (Foto: Tomsickova / AdobeStock.com)
Den Willen Gottes erfüllen, den Menschen Heil bringen
Der Evangelist Lukas holt weit aus, als er seinen „Bericht über all das“ abfasst, was sich „unter uns ereignet und erfüllt hat“. Denn: „Viele haben es schon unternommen“. Es geht also um Wichtiges, ja um die zentrale Botschaft.
Die starke sprachliche und gedankliche Spannung, die das Lukasevangelium durchweg prägt, ist schon in diesem ersten Vers (Lk 1,1) deutlich zu spüren. Es geht Lukas um das, was sich mit und durch Jesus von Nazaret „ereignet“ hat, und dann um das, was sich „erfüllt“ hat. Dabei hat die „Erfüllung“ ihrerseits eine doppelte Bedeutung: Jesus erfüllt den Willen Gottes, er erfüllt die Glaubenserwartung seiner jüdischen Zeitgenossen und die Tradition des Volkes Israel. Sofort wird aber auch spürbar, dass „Erfüllung“ eine zukunfts- und wegweisende Dimension hat. „Erfüllen“ ist eine Herausforderung. Sie richtet sich sowohl an die Synagogenbesucher in Nazaret und an die Menschen in Galiläa – aber dann auch an alle, damals wie heute. Also an uns!
Die große und bedeutende Botschaft Jesu wird – ganz konkret – in der Synagoge von Nazaret verkündet, so sagt es Lukas zu Beginn seines Evangeliums, seiner guten Botschaft. Deshalb legt er so großen Wert auf die authentische Überlieferung, auf die Zuverlässigkeit der Lehre und auf die Gewissenhaftigkeit der Augenzeugen (Lk 1, 2).
Unser heutiger Evangelientext wird ganz deutlich eingerahmt von zwei zeitlichen Zuordnungen: „In jener Zeit“ und „heute“. Diese Aussagen stehen aber nicht im Gegensatz zueinander, sie sind vielmehr konstruktiv aufeinander bezogen.
„In jener Zeit“ – das bezieht sich auf das Wirken und das Leben Jesu, auf seine authentische Botschaft der Gottes- und der Nächstenliebe. „Heute“ – das bezieht sich auf die Wirkung für die Synagogenbesucher damals – und auf uns heute. Es wird deutlich: Das „Heute“ ist Lukas wichtig, darauf kommt es an (4, 21). Was „in jener Zeit“ geschehen ist, hat unmittelbare Auswirkung auf das jeweilige „Heute“ – bis hin zu uns, im Heute des 21. Jahrhunderts.
Jesus hält sich bei seiner Auslegung des Propheten Jesaja in der Synagoge in Nazaret ganz an die geltende Liturgie, an die Tradition der Torah-Lesung und an die Gebete. Von dort her – von Gott, seinem Vater und den Worten der Torah – bezieht Jesus seine Kraft und sein Selbstverständnis: Er, der gläubige Jude Jesus.
Die Zusagen Jahwes, des gütigen Gottes, sie werden jetzt wahr. Durch Jesus werden sie neu ausgelegt, damit aber auch neu und eindringlich als Auftrag gegeben. Ganz zentral ist der Auftrag, den Armen eine gute Botschaft zu bringen. Hier wird das Wort des Propheten Jesaja, auf das sich Jesus bezieht, als Auftrag in die Gegenwart geholt. Es kann und darf nicht unverbindlich bleiben.
Getragen von dieser Intention war der Besuch von Papst Franziskus im vergangenen Advent im Migrantenlager auf Lesbos. Sein Besuch war eine gute Botschaft für die Armen und der beeindruckende Versuch, die im Lager eingepferchten Flüchtlinge zu befreien und ihnen ihre Würde zurückzugeben.
Ja, die Botschaft muss umgesetzt werden in karitatives und soziales Handeln, hier und heute, auf Lesbos und bei uns. „Arme“ – das können Migranten sein, deren Integration nicht gelungen ist, aber ebenso auch Alleinerziehende oder Kranke und Behinderte – alle Menschen, die der Zuwendung und Hilfe welcher Art auch immer bedürfen.
Sowohl die Kirche mit ihren Institutionen und Funktionen als auch jeder einzelne Christ, jede Christin sind gefordert, Not und Armut wahrzunehmen und – wo und wie möglich – zu helfen oder zu lindern. In der gerade jetzt so bitteren Pflegenot müssen z.B. die ökumenischen Sozialstationen gestärkt werden. Die Arbeit der Schwestern und Pfleger stärker zu würdigen, in jeder Hinsicht, ist von uns allen gefordert. Die Botschaft und der Auftrag Gottes, über Jesaja und über Jesus zu uns, ist eine bleibende Herausforderung. Ob ihrer Wucht und Größe kann sie uns Angst machen. Aber: Auch wenn wir nicht alles leisten können, so können wir doch mithelfen, Armut zu lindern, uns gegen Hass und Hetze einzusetzen, mithelfen, das Gebot der Nächstenliebe durch soziales Handeln und durch Zuwendung zu Bedürftigen zu erfüllen.
Was will der Evangelist Lukas erreichen? Uns, für die sich „das Schriftwort erfüllt hat“, zu einem gelingenden Leben führen. Die Intention der „Feldrede“ des Lukas (6, 17 ff.) scheint hier schon auf. Selig ist, wer sich in der Nachfolge Jesu gegen Unrecht und Not in dieser Welt engagiert und entsprechend handelt. Verbunden mit der sozialen ist für Lukas auch deutlich eine spirituelle Dimension. Gottesliebe und Nächstenliebe sind untrennbar miteinander verbunden.
Es ist das „Heute“, in dem uns Heil widerfährt, wenn wir aus der Kraft des Gebets und mit karitativ-sozialem Impetus handeln. (Helmut Husenbeth)