Freitag, 17. Juni 2022
Schlechte Zeiten, gutes Leben

Oft machen Kleinigkeiten die größte Freude – zum Beispiel ein selbst gekochtes Essen mit Freunden. (Foto: AdobeStock/Brat Co/Stocksy)
Unser Wohlstand bröckelt – christliche Werte können helfen, damit klarzukommen
Die Kosten für Lebensmittel und Energie steigen und steigen. Die Inflation und die großen Krisen lassen erahnen, dass wir unseren Lebensstandard auf Dauer nicht halten können. Ein Drama? Nicht unbedingt.
Kürzlich hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag der ARD die Deutschen zur Inflation befragt. Ergebnis: 47 Prozent von ihnen schränken sich stark oder sehr stark ein; unter den Menschen mit geringem Einkommen waren es 77 Prozent. Seit Wochen steigen die Preise für Lebensmittel und Energie; an der Supermarktkasse und an der Tankstelle spüren wir das jetzt schon, und die nächste Heizkostenabrechnung kommt ja erst noch.
Jahrzehntelang ist der Wohlstand in Deutschland gewachsen, für viele Menschen ging es finanziell stetig aufwärts. Sie konnten sich immer größere Häuser, dickere Autos, exotischere Urlaubsreisen leisten. Und hatten den Gedanken im Kopf, dass es ihren Kindern sogar mal noch besser gehen soll als ihnen selbst. Seit Russlands Diktator Wladimir Putin mitten in Europa einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist klar: So wie bisher wird es mit unserem Wohlstand nicht weitergehen.
Der Staat wird nicht jede Belastung der Bürger auffangen können
Plötzlich wird über Wörter diskutiert, die in unserer Überflussgesellschaft in Vergessenheit geraten waren: Mangel, Knappheit, Verzicht. Und das ist erst der Anfang. Im durchaus denkbaren Fall, dass Deutschland im nächsten Winter ohne Gas aus Russland auskommen müsste, würde nicht mehr jedes Zimmer in jedem Haus geheizt werden können. Dann stünde eine aufwühlende Debatte an: Sollen warme Wohnungen Priorität haben – oder das Gas für die Industrie?
Der Staat wird auf Dauer nicht jede Belastung der Bürger auffangen können. Er hat schließlich gerade erst Unsummen zur Linderung der Corona-Folgen ausgegeben, muss nun eine zeitgemäße Ausrüstung für die Bundeswehr finanzieren und die Energiewende gegen die drohende Klimakatastrophe sowieso – und die Schulden, die er heute macht, muss morgen auch jemand zurückzahlen. Heißt: Die Verteilungskämpfe in Deutschland werden zunehmen, und viele Menschen werden das in ihrem Geldbeutel spüren.
Dieses Problem zu beklagen, hilft wenig. Besser ist womöglich zu fragen: Wie kann ein gutes Leben in schlechten Zeiten aussehen? Wie kann uns der christliche Glaube helfen, mit der ungewohnten Ungewissheit klarzukommen? Vielleicht vor allem mit dem Gedanken, dass das, was da kommt, ein bisschen wie eine dauerhafte Fastenzeit ist. Und dass die Idee, die in der Fastenzeit funktioniert, auch jetzt guttun könnte: Verzicht als Chance.
Natürlich gilt das nicht für jene Menschen, die eh zu knapsen haben; sie brauchen Unterstützung. Bei vielen anderen aber ist nicht die Existenz bedroht, sondern nur der dritte Urlaub im Jahr; ihnen könnte die Krise helfen zu überlegen, was wirklich wichtig ist, um glücklich zu sein – und was nicht. Schon die Pandemie hat in manch einem den Gedanken reifen lassen, dass Familie, Freunde und Gesundheit mehr zählen als Glitzer und Konsum. Dass ein selbst gekochtes Essen mit den Lieblingsnachbarn mehr Freude schenkt als das Drei-Gänge-Menü im edlen Restaurant. Und dass es leicht ist, sich an Kleinigkeiten zu freuen, wenn Großes gerade nicht geht. (Andreas Lesch)