Mittwoch, 22. Juni 2022
Die Highlights des Sommers
Glühwürmchen gleiten zur Paarungszeit glimmend durch die Nächte
Wenn dieser Tage zu später Stunde wieder Leuchtpünktchen durch die Gärten tanzen, dann reagiert Luciferin mit Adenosintriphosphat und Sauerstoff. Wie bitte? Nun, es geht hier um Licht in der Nacht – und um Brautschau.
Die Rede ist von „Glühwürmchen“. Sie erhellen zur Paarungszeit unsere Sommernächte. Mit ihrer Leuchtkraft beeindrucken sie die Weibchen, die dann ihrerseits am Boden zu leuchten beginnen – und sich ihren Mister 10 000 Volt erwählen.
Seit jeher fasziniert den Menschen jenes Naturphänomen, bei dem der Leuchtkäfer durch chemische Reaktion Energie freisetzt: sogenannte Biolumineszenz. Noch nicht allzu lang sind die naturwissenschaftlichen Grundlagen dafür erkannt – deshalb wurden andere, häufig abergläubische Erklärungen gesucht. Im alten China etwa standen Glühwürmchen als Sinnbild für arme Studenten, denen man nachsagte, das nächtliche Studium nur mit ihrer Hilfe bewerkstelligen zu können.
Im Volksmund wird der Leuchtkäfer häufig „Johanniswürmchen“ genannt, jahreszeitlich eng verbandelt mit dem Johannistag Ende Juni, um den herum ihre saisonale Hoch-Zeit in manchen tieferen Regionen beginnt. In Teilen Bayerns sprach man auch vom „Sunnwendvögelein“.
Auch viele Heilige standen als Namensgeber Pate. So wurden Leuchtkäfer mancherorts „Catlena“ oder „Santa Chiara“ genannt. Die meisten Bezeichnungen beziehen sich aber auf die Funktion: das Glimmen; so im Althochdeutschen „gleimo“ und im Mittelhochdeutschen „glime“.
Im Schwedischen ist die „lysmask“ (Lichtraupe) überliefert, aus dem italienischen Lecce das „cento-lume“ (hundert Lichter) und aus Ascoli das „lucciola-a-cappella“ – denn die übermütigen Jungs dort steckten sich den Käfer offenbar zur späten Dämmerung an den Hut.
Biologisch übrigens grundverkehrt, denn die flugunfähigen Weibchen verkriechen sich über Tag stets am gleichen Ort. Sich woanders neu zurechtzufinden, geht an ihre begrenzten Energiereserven, die sie dringend zur Fortpflanzung benötigen. Beide Partner sterben nur wenige Tage nach der Paarung.
In manchen Kulturen und Regionen sah man in Glühwürmchen ohnehin schon die Seelen von Verstorbenen. Entsprechend wurden sie etwa in Teilen Italiens und Frankreichs auch „Totenlichter“, „Totenlaterne“ oder „Kleine Gevatterin“ gerufen. Plinius der Ältere deutete den Leuchtkäfer in seiner „Naturgeschichte“ als landwirtschaftliches Orakeltier. Glühte er, dann hieß es: Gerste ernten, Hirse säen.
Beschrieben schon seit der Antike, kam es mit den Würmchen doch erst vor rund 250 Jahren in Ordnung: Der schwedische Naturforscher Carl von Linne (1707 bis 1778) schuf mit seinen binären Verzeichnissen die Grundlagen der modernen biologischen Systematik. Zu jeder beschriebenen Art gab er mit dem Namen der Gattung zusätzlich einen einzigen Artnamen an, der die bisherigen, teils sehr langen beschreibenden Wortgruppen ersetzte. In diese Nomenklatur nahm er 1767 auch den Kleinen Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula) auf. Genau 50 Jahre später erfolgte der Große Leuchtkäfer (Lampyris noctiluca), beschrieben und systematisiert von einem weiteren Begründer der modernen Insektenkunde, dem Franzosen Pierre Andre Latreille (1762 bis 1833).
Ob Orakel, Omen oder Ordnungsnummer: Die Glühwürmchen werden weniger. Am besten sucht man sie in warmen Sommernächten an Wald- und Wegrändern, in hohen Wiesen und Parkanlagen. Je nach Temperatur und Klima verschiebt sich die Leuchtperiode von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort. (Alexander Brüggemann/kna)